Kleine Welt

Haben kleine Mädchen heute noch Puppenstuben? Haben Buben Kaufläden? In Staufen gibt es an der Hauptstraße im ersten Stock eines Hauses das Puppenstuben- und Puppenmuseum Kleine Welt, und ich bin mit meiner Mutter endlich mal hingegangen, weil sie etwas damit anfangen kann. Und ich wollte wissen, ob mir etwas dazu einfällt, ob ich auch etwas damit anfangen kann.

Enge Gänge sind im Museum frei zwischen menschenhohen Vitrinen, die gefüllt sind mit Puppen. Puppen überall. Sie schauen. Manche sind richtig hässlich, aber Kinder bemerken das nicht, für sie sind das lebende Wesen, die sie begleiten und ihnen zuhören. Es gibt sogar Kinder, die einen imaginary companion haben: ein Wesen, das nur sie sehen und mit dem sie reden. Das beunruhigt die Eltern, ist aber nicht beunruhigend und verliert sich.

Natürlich ist eine Puppe ein Alter ego, ein Avatar, eine Freundin, der man alles anvertrauen kann. Jungs müssen ohne auskommen. Auch die Puppenstuben mit Wohn- und Schlafzimmern sind nicht für sie; sie sollen ja draußen im tätigen Leben wirken, das kuschelige Heim ist die Domäne der Frau. Jungs (und Männer) haben dafür die Welt der Modelleisenbahn. Sie sollen die Außenwelt prägen. Der Mini-Altar mit den liturgischen Gerätschaften ist selbstredend auch für junge Männer; der Priester ist männlich. Kaufläden waren auch für Jungs gedacht. Der Kaufmann verkauft, die Frau darf den Laden später putzen.

Modellwelt ohne Eisenbahn (Verkehrsmuseum Karlsruhe)

Doch auch ich fand Puppenstuben faszinierend. Es sind kleine Welten, die die Fantasie mit Leben füllt. Wenn man bedenkt, dass der kleine Mensch, der von den Eltern und den Lehrern gegängelt wird und wenig Autonomie besitzt, da plötzlich kreativ sein kann, dann wirkt das wie eine Kompensation für die Ohnmacht des Kindes. Später, wenn das Kind groß geworden ist, wird es manchmal Schriftsteller und baut mit Worten kleine Welten, in denen es alles tun kann, was ihm beliebt.

Interessant, dass nach 1910 sogar Bäder mit Toilette nachgebildet wurden. Man hätte sie schamhaft beiseite lassen können, aber Freud hatte schon seine ersten Werke geschrieben, Verdrängung galt nicht mehr, und so sah man hinein in kleine Bäder mit Puppen (freilich ohne Geschlechtsmerkmale).

Die Puppe als Avatar. In Haiti stachen Zauberer Nadeln in kleine Puppen, die den Verhexten darstellten. Das tat dem echten Menschen weh, weil er wohl wusste, dass er verhext war. Puppen mit schwarzer Hautfarbe sind natürlich selten. Zwei habe ich in dem Staufener Museum gesehen. — Im alten Ägypten legte man dem Toten eine Puppe in den Sarg. Sie sollte im Jenseits Arbeiten für ihn ausführen. Im Ägyptischen Totenbuch spricht der Verstorbene diese Puppe so an: Magische Puppe, hör mich an! / Bin ich gerufen, / Bin ich verurteilt, auszuführen die Arbeit, /Welche im Jenseits die Toten verrichten, / Wieso denn du, oh magische Pupe, / Da du die Werkzeuge hast; / In deiner Not gehorche dem Toten! / Wisse, du bist an meiner Statt / Von den Duat-Hütern verurteilt: / Zu besäen die Felder, / Zu füllen mit Wasser Kanäle, / Den Sand herüber zu schaffen / Von Osten nach Westen … / (Die magische Puppe erwidert): / Hier bin ich horchend deinen Befehlen.

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