Bloß die Haut

»Ich dachte in dieser kalten Jahreszeit darüber nach«, vermerkt Michel de Montaigne (1533-1592) in seinen Essais, »ob der Brauch, dass alle nackt umherlaufen, wie bei jenen neulich entdeckten Völkern, eine Gewohnheit ist, die ihnen die heißen Temperaturen auferlegen, … oder ob es der ursprüngliche Zustand der Menschheit ist.« Der Gedanke kam mir gerade recht.

Wie immer hatte ich die Passage beim Aufschlagen zufällig gefunden. Doch ich hatte ohnehin etwas über die nackten Tasmanier schreiben wollen, und so bekam ich die Einleitung dazu von Montaigne geschenkt.

Robert Lawlor schreibt in Voices of the First Day:

Vielleicht das Seltsamste ist, dass die Tasmanischen Eingeborenen sich aus freien Stücken nackt einem kalten und unbarmherzigen Klima aussetzen. … Den Europäern, die zum ersten Mal die Aborigines sahen, blieb die Tatsache nicht verborgen, dass die Eingeborenen uninteressiert waren an Lagerfeuern, Umhüllungen der Haut oder kleinen Hütten, um sich vor dem scharfen Wind und den Regenfällen des strengen Tasmanischen Winters zu schützen. … Eine derart kompromisslos gelebte Nacktheit war für die gehemmten und verklemmten Europäischen Kolonisten ein Affront.

Lawlor meint, dass die Tasmanier in vergangenen Epochen abgehärtet worden seien, und mit Epochen meinen wir hier viele zehntausend Jahre. Die letzte Eiszeit datiert von vor 20.000 Jahren. Die Tasmanischen Aborigines stellten womöglich das bemerkenswerteste Beispiel für ein Überleben in der Menschheitsgeschichte dar, meinte Lawlor. Nicht einmal in der tiefsten Eiszeit verließen sie ihre windgepeitschte Insel, die nur 1000 Kilometer vom großen Antarktischen Eis entfernt liegt. Sie schufen wunderbar geometrische Kunstwerke, eingeritzt in Stein: die ältesten Zeugnisse einer Jäger- und-Sammler-Kultur. Die Europäer nannten diese Menschen degeneriert und waren der Ansicht, ihre Auslöschung würde ein Segen sein.

Der überlegte und tolerante Montaigne schrieb noch: »So behaupte ich, dass, so wie die Pflanzen, die Bäume, die Tiere und jegliches Lebendige, alles von der Natur mit ausreichender Bedeckung versorgt wurde, um sich angesichts der Unbilden der Witterung zu behaupten.« Aber: Es braucht auch eine Anpassung, die zuweilen, wie im Fall der Tansanier, viele tausend Jahre dauern kann.

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