Amerikanische Fahrrad-Paradiese

Robert Penn, ein englischer Autor und Kolumnist, hat zwei Kommunen an der Westküste der Vereinigten Staaten ausgemacht, die sich dem Fahrrad »ausgeliefert« haben und bestens damit gefahren sind. Das sind Paradiese: die Großstadt Portland, Oregon, und die Kleinstadt Fairfax, Kalifornien. Zum Träumen.

Penns Buch Vom Glück auf zwei Rädern (2011) handelt von dem Unterfangen, sich ein Tourenrad mit den allerbesten Komponenten selber zusammenzustellen. Penn besucht die namhaftesten Hersteller und hat am Ende sein Traum-Rad für 4000 Euro, darum heißt das Buch im Original auch It’s All About the Bike.-Im Verlauf des Buches lernen wir die Teile des Fahrrads und deren Geschichte kennen. Die Technik ist wirklich gut erklärt, und ohne sie fahren wir ja nicht rad. Der deutsche Titel ist so, wie deutsche Titel eben sind: romantisch und elegisch.

»Lance Armstrong hatte Unrecht« schreibt Robert Penn gegen Ende seines Buchs. Der Texaner hatte das Buch It’s Not About the Bike vorgelegt, über seine Krankheit und seine Erfolge. Penn meint: Nein, es geht nur ums Rad, It’s All About the Bike. Wobei ihm womöglich entging, dass Armstrongs Titel nicht wörtlich zu nehmen ist und genau das bedeutet, was Penn sagen will. Auch bei Armstrong geht es nur um das Rad, das im Hintergrund steht und nicht extra genannt werden muss, eine ironische Brechung also.

In Portland residiert ein berühmter Komponentenhersteller, und die Stadt mit fast 600.000 Einwohnern, südlich von Vancouver und nahe bei der kanadischen Stadt gelegen, hat 1993 begonnen, dem Fahrrad Vorfahrt einzuräumen. Penn schildert:

Kopie von DSCF0133Im letzten Jahrzehnt hat sich hier die Zahl der Radfahrer verzehnfacht. Heute ist Portland die amerikanische Großstadt mit den meisten Radpendlern pro Kopf der Bevölkerung. Es gibt ein ausgedehntes Netz von Radwegen und Fahrrad-»Boulevards«, die für den motorisierten Verkehr gesperrt sind, ebenso wie eine eigene Beschilderung und Fahrbahnmarkierungen für Radler. In der Innenstadt regeln die Ampelphasen die Verkehrsgeschwindigkeit so herunter, dass Radfahrer damit Schritt halten können. Man kann sein Rad in allen Bussen, Straßen- und Stadtbahnen mitnehmen. Die Zahl der Parkplätze wurde vermindert; überall stehen Fahrradständer.

Der Autor zitiert Slate Olson, der einen Radbekleidungshersteller vertritt, mit den Worten: »Man könnte sagen, Portland hat sich der Energie bemächtigt, die das Rad freisetzt.« Es gibt eine große Fahrradsubkultur, die mit der größten Nacktradfahrt Amerikas prunken kann. Jede halbe Stunde gibt es irgendwo ein Fahrrad-Event. Der Bürgermeister sagte, jede andere Stadt könne das nachmachen. Man wolle 25 Prozent des Stadtverkehrs auf das Fahrrad verlagern.

Fairfax, die Kleinstadt, liegt in Kalifornien in Küstennähe und wird bewohnt »von 7000 resolut individualistischen Einwohnern«. Robert Penn ist begeistert:

tz030-13Fairfax ist womöglich die verrückteste Stadt, durch die ich je gebummelt bin. Es war eine Stadt der großen Hüte und Tätowierungen, wo gesund aussehende Menschen lebten, die einen geradeheraus anblickten und spontan anlächelten und wo lilafarbene Hosen nie ganz aus der Mode gekommen waren. Ich fragte Rudy, ob die Leute in Fairfax glücklich seien.

Rudy erwiderte, alle führen Rad, und Gravy, Laufradproduzent und Sohn des Rockmusikers Nick Gravenites, bestätigte das: »Klar fährt hier jeder Rad. Ich hab nie ein Auto besessen.« Ein halbes Dutzend Gruppen fährt jeden Tag von Fairfax aus los und den Mount Tamalpais hoch und hinunter. Dann geht’s in die Bar, in der eine Bluesband spielt. So sehen Paradiese aus.

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Das R steht für das Rad: das Fahrrad. Noch ein paar Informationen aus Italien (La Repubblica, Anfang Mai): Der Minister für die Infrastruktur, Graziano Delrio, hat einen Masterplan für den Fahrradverkehr ins Gespräch gebracht. 100 Millionen Euro habe die Regierung schon für Radwege durch Italien bereitgestellt. Venedig−Turin und Brenner−Verona−Florenz sollen ausgebaut werden, und auch der Grab in Rom bekommt wieder Aufmerksamkeit. Die 37-jährige Anwältin Virginia Raggi, die im Wahlkampf mit Fahrradaktivisten durch Rom radelte, ist vor ein paar Tagen Bürgermeisterin von Rom geworden … wenn sonst nichts geht, wird sie vielleicht ein paar neue Radwege schaffen. (Piero Fassino ist in Turin überraschend Chiara Appendino unterlegen. Ein Wermutstropfen, aber: Die Frauen kommen in Italien!) Für Delrio wäre der Masterplan eine »einfache Sache« und in 12 bis 18 Monaten zu bewältigen. Na ja, nach allen Erfahrungen bisher glauben wir das einfach nicht; es fehlt der Wille, und wenn es ernst wird, wird der Masterplan eine höllisch komplizierte Sache sein, allenfalls in 12 bis 18 Jahren durchzusetzen. Wenn überhaupt.

 

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