Bekehrung zur kleinen Königin

Die Franzosen bekennen sich zum Rad, war am 17. August die dritte Seite der Zeitung L’Alsace überschrieben. Wie? Frankreich ist doch das Land der Tour de France! Doch das heißt Rennrad und bringt uns nicht viel. In den romanischen Ländern tut man sich schwer, das Rad als Alltagsgefährt zu akzeptieren.

Weil das Rad immer als Arme-Leute-Fortbewegungsmittel galt. Nun wurden in Frankreich 2015 drei Millionen Fahrräder verkauft/gekauft. Der Siegeszug der kleinen Königin übertrifft alle Erwartungen, schreibt die Zeitung. (La petite reine war immer der Beiname des Rads: die kleine Königin). Fast eine Milliarde Euro wurde mit dem Rad im vergangenen Jahr umgesetzt, was bedeutet, dass im Durchschnitt 321 Euro für ein Rad ausgegeben wurden. Das ist lachhaft wenig.

730 Millionen Euro wurden mit dem Verkauf von Accessoires erzielt. 780.000 Mountain-Bikes wurden verkauft und 100.000 Elektroräder. Da fehlen aber noch zwei Millionen. Werden wohl die Stadträder sein (ab 150 Euro, heißt es. Wie? Da kann es sich nur um Baumerkträder handeln.) Jede Minute wird in Frankreich ein Rad geklaut: 1076 am Tag. Und Frankreich ist weltweit das zweitgrößte Land für Radreisen. (Was ist das erste? Deutschland?) Lassen wir das mit den Zahlen.

Überall mit dem Fahrrad sein, steht auf dem T-Shirt. Auf einem spanischen Campingplatz, 2012

Überall mit dem Fahrrad sein, steht auf dem T-Shirt. Auf einem spanischen Campingplatz, 2012

In der Radwelt des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs verkündet Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, er sei überzeugt, dass das Rad »das Verkehrsmittel der Zukunft« werden und »Entwicklungen wie den Sprung zur Smart City oder zur Logistik 4.0 maßgeblich prägen« könne. So reden Politiker. Immer auf der Höhe der Zeit. Der Minister hat aber kürzlich Milliarden für den Straßenbau lockergemacht und so locker, dass Grüne dagegen protestierten: Absprachen seien nicht eingehalten worden. Als CSU-Minister ist Dobrindt natürlich ein Auto-Mann, aber man muss sich auch beim Fußvolk in Stellung bringen. Dass er auch Minister für digitale Infrastruktur ist, erfuhr ich da so nebenbei. Zuständig für den Verkehr eben.

Das alles wollen wir nicht überbewerten. Im August sind viele auf Reisen, und da widmet man sich gern den Randthemen. Aber man sah in den vergangenen Monaten viele Radtouristen, und in den zugeparkten und unter der Autoflut leidenden Städten kommt man am Fahrrad nicht vorbei. Freuen wir uns doch mal! …

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Aber: Mich beschleichen Zweifel. Das Automobil beherrscht diese Welt so total. Das Fahrrad ist nichts als ein Trostpflästerchen und wird zum Spielzeug, das dem Smartphone nicht das Wasser reichen kann. Da spielt womöglich mit, dass das Fahrrad für mich stets eine Parallelwelt war, die eingefleischten Kämpfern und Antagonisten des Weltbetriebs Raum bot. Man war Pionier und einsamer Prophet.

Und nun muss ich sehen, dass die »Radwelt« sich nun nicht mehr von der übrigen Konsumwelt unterscheidet. Die andere Welt, die wir heraufdämmern sahen und die möglich wäre, ist auf diese Weise nicht zu realisieren. Die Hinwendung zum Motor war der große Sündenfall. Damit kann man viel Geld verdienen, und das Geld zerfrisst alles, was mit ihm in Kontakt kommt. Ideale zerbröseln, Hoffnungen werden verscherbelt. Ich versuche dennoch, mich zu freuen.

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