Scrivono male

Die jungen Italiener verlernen ihre Sprache. Scrivono male – sie schreiben schlecht – und haben mit schwierigen Texten Mühe. 600 italienische Universitäts-Dozenten haben in Florenz einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie beklagen, dass drei Viertel ihrer Studenten geradezu Halbanalphabeten seien.

Ein Dozent meinte: »Es ist schlichtweg deprimierend, junge Menschen vor sich zu haben, die Journalisten werden wollen und nur einen armseligen Wortschatz besitzen, die schreiben, als würden sie eine SMS verfassen, die Wörter zusammenkleben und an den Konjunktiven scheitern.« Die Unterzeichner, zu denen viele prominente Gelehrte wie etwa Ilvo Diamanti und Massimo Cacciari zählen, gehören zur Accademia della Crusca, der 1583 in Florenz gegründeten ältesten Sprachgesellschaft der Welt. In ihr verteidigt man die italienische Sprache und macht sich nun Sorgen. Es handle sich um eine »nationale Tragödie, die von der öffentlichen Meinung, der Presse und der politischen Klasse nicht wahrgenommen wird“. Dringende Eingriffe seien nötig, hieß es in dem Papier, über das Anfang Februar die Zeitung La Repubblica schrieb.

021Dante Alighieri, der Verfasser der Göttlichen Komödie, stammte aus Florenz (von wo man ihn jedoch fortgejagt hatte). Florenz gilt als die Stadt mit dem reinsten Italienisch. Dante legte mit seinem Werk, geschrieben um 1300, den Grundstock zur italienischen Verkehrssprache. Rechts ist er abgebildet. Das Standbild fotografierte ich auf einer Radtour, wo man es nicht vermutet: Ich glaube, in Torretta an der Ostküste Kalabriens. Die Aufschrift stammt aus dem 26. Gesang der »Hölle«, und es spricht Odysseus, der mit seinen Gefährten heimreist. Er mahnt: »Bedenkt eure Herkunft! / Gemacht seid ihr nicht, um wie die Tiere zu leben, / sondern um Tugend und Erkenntnis zu erstreben.«

Wie in Deutschland wird in Italien klar, dass viele Kinder auch nach ihrer Schulzeit „schlecht Italienisch schreiben, wenig lesen und Mühe haben, sich mündlich auszudrücken“. Einige Fakultäten haben schon Kurse eingerichtet, um unter den Studenten die italienische Sprache aufzufrischen. Leider seien Orthographie und Grammatik bislang in der Didaktik unterbewertet worden.

In Deutschland ist das genauso. Es gibt pädagogische Initiativen , die die Kinder alle Fehler machen lassen, um sie ja nicht unter Druck zu setzen. Doch wie hieß es früher: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Wer zu Anfang schludern darf, schludert immer weiter, weil er es auch nicht besser weiß.

Kürzlich bekam ich einen Bericht eines Schülers in die Finger, der recht gut geschrieben war. Die Lehrerin vermerkte hervorragend darunter und gab Note 1,0. Nur hatte der junge Mann praktisch keine Kommas gesetzt, das floß dahin wie ein unbegrenzter Strom. Stört anscheinend niemanden, denn auch die Werbung (also Firmen mit einer Menge Geld in der Hinterhand) lässt Sätze an die Öffentlichkeit, die vor Fehlern nur so strotzen. Stört keinen.

In dieser technikversessenen Welt muss doch jedes Detail stimmen, sonst funktioniert ein Gerät nicht! Wenn die Autobauer so arbeiten würden, wie sie schreiben, würde das Fahrzeug auf zehn Kilometern fünf Mal stehenbleiben. Die Verständigung unter Menschen ist ohnehin schwierig und Missverständnissen unterworfen. Da helfen Regeln, und die Kommas helfen, den Satz zu gliedern, damit man ihn besser versteht.

DSCN5382Doch Kommas und Grammatik sind nur ein Randproblem. Wir sind keine Erbsenzähler. Es geht um all das, was bislang gedacht wurde, das Erbteil von Jahrhunderten, um die Erkenntnisse von Philosophie und Kosmologie und Psychologie, um die Poesie … und all das entfernt sich anscheinend ganz langsam hinaus ins All. Es zurückzuholen ins Bewusstsein wird schwierig. Und das heute, wo alles Wissen dieser Welt gratis zur Verfügung steht, im Computer nur auf uns wartet! (Illustration: Paolo liest seiner Geliebten Francesca etwas vor; an einer Hauswand im Elsass. Die Geschichte steht im 5. Gesang der »Hölle«, Zeilen 73-142. Sie küssen sich dann, und es folgt die berühmte Zeile: »Quel giorno più non vi leggemmo avante« … An jenem Tag lasen wir nicht mehr weiter.)

Sprache ist alles: »Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt«, sagte Ludwig Wittgenstein. Und Konfuzius bemerkte im 5. Jahrhundert vor Christus: »Wenn die Begriffe nicht stimmen, dann ist das, was gesagt wird, nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht das Gemeinte ist, dann sind die Taten nicht in Ordnung. Wenn die Taten nicht in Ordnung sind, dann verderben die Sitten.«

 

 

 

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