Der Syrer auf dem Fahrrad

Derek Walcott ist ja kürzlich gestorben, der große Dichter der Karibik. In einem Buch mit seinen Gedichten, Selected Poems (faber and faber, London, 2007), fand ich ein Werk, in dem Fahrräder vorkommen. Ich übersetze es einfach, damit ihr versteht, warum ich Walcott immer verehrte.

LIII

Da gab’s einen Syrer mit seinem Fahrrad in unserer Stadt.
Ich wusste nicht, ob er ein Syrer oder ein Assyrer war.
Als ich ihn nach seiner Rasse fragte, über die Saroyan geschrieben hatte,
dass noch siebzigtausend Assyrer übriggeblieben waren,
wo waren dann die neunundsechzigtausendneunundneunzig,
so antwortete er nicht, sondern lächelte die Straße entlang.
Seine Pupillen leuchteten wie die heißen Speichen eines Streitwagens
oder die silbernen Drähte seines gebrauchten Fahrzeugs.
Ich hätte ihn nach dem Flugmuster der Vögel fragen sollen,
die auf Aramäisch migrierten, oder nach der korrekten
Aussprache verwinkelter Flüsse wie „Tagus“.
Assyrien war die alte Welt, wie sie uns beigebracht wurde,
aber er ja auch, mit seinen Kamelen von heißer Haut und Zelten.
Ich war jung und deutlich, meine Zeit war
die Gegenwart; wenn ich in meiner Ignoranz
die Zeit verdreht hätte, so hätte es weniger bedeutet
als die Arroganz manches Tyrannen, die seine Zukunft prägte.
Er trug ein weißes Hemd. Einen schwarzen Hut. Sein Rad
hatte vorn einen eisernen Korb. Er bewegte sich durch das
Trugbild
von Zuckerrohrfeldern und schenkte den Schnittern Kleider.
Als nächstes erschienen zwei weitere Syrer. Alle drei hatten
einen Laden,
hinter dem sie schliefen. Danach gab es
ein Schild mit einem Namen, komisch kam er uns vor, mit
mythischen spitzbärtigen gesalbten und gelockten
Königen: ABDUL.
Aber für mich gab es immer noch
nur siebzigtausend Assyrer,
und alle lebten sie nebenan
in einem heißen dunklen Raum,
und sie murmelten in einer Sprache, deren Klang
geflügelte Löwen in sich trug und Vögel, die
in eine Wand gegraben waren.

Armando Basile in der Wüste

Armando Basile in der Wüste

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