Manicomio, Rom

Robert Musil (1880-1942) hat in seinen Tagebüchern beschrieben, wie er das römischen Irrenhaus in der Via Lungara besuchte. Kam mir irgendwie bekannt vor. Ich hatte im Jahr 2001 für die Ärzte-Zeitung einen Artikel über das Psychiatrie-Museum der Klinik Santo Spirito geschrieben.

Lag das Museum etwa in der Via Lungara? Der Gebäudekomplex zieht sich den Gianicolo empor, schreibt Musil, der damals, mit 33 Jahren, seinen Freund Sergio Sergi besuchte.

»Man öffnet und schließt vorher schwere Türen. Pavillons in einem sehr großen ansteigenden, oben nach links sich abdehnenden Garten. Aussichtspunkte. Auf einem derselben Kranke mit Wärterinnen, auf den ersten Blick kaum voneinander zu unterscheiden. Wir durchschreiten eine Frauenabteilung; Haus, umgitterter Platz, Bäume, Bänke. Alle mit offenem Haar. Alle abstoßend hässliche Gesichter, fett verwachsene weiche Züge. Eine zieht sich den Strumpf hoch, ein sehr weißes hässliches Bein. Eine Alte gibt uns einen Brief an ihren Mann mit. Ernesto, Geliebter …! Ziemlich zusammenhängend, soviel ich sehen kann. Immer die gleiche Sache: wann kommst Du? Hast Du mich vergessen? Du beförderst ihn doch gleich, sagt sie zum Arzt. Gewiss, verspricht er, und zerreißt ihn, sobald die Oberschwester das Tor hinter uns geschlossen hat. Er besitzt eine Sammlung solcher Briefe.

»Pavillon Speranza: Ruhige Abteilung. Stärkster Eindruck ein Herr aus guter Gesellschaft, Paralytiker. Er sitzt im Bett. Weißen Spitzbart, weißes Haar. Gepflegtes edles und intelligentes Gesicht. Idealisierter Cavourtypus. Vielleicht Ende Fünfzig. Sehr weißer Teint. Ganz melancholisch. (…) Dann ein fröhlicher, dicker alter Maler. Sein Bett steht beim Fenster. Er hat Papier und Blei und zeichnet den ganzen Tag. Was ich sah, nicht so wie ich es sonst von Verrückten kenne, sondern vollkommen wie der Entwurf eines Gesunden zu einem Gemälde. Gruppen in Sälen, vieux jeux aber gesund. Sergio, der sehr amusisch zu sein scheint, versteht nicht, dass Entwürfe so aussehn. Er hält offenbar auch das für krank aus zu geringer Kenntnis der Sache. Er stibitzt rasch – der Alte kichert und hat sich wie ein Weibsstück – ein Blatt und zeigt es mir. Bellissimo, sage ich. Eh siehst Du, sagt der Kranke, dem Herrn gefällt es, zeigt ihm doch mehr, zeig ihm. Bellissimo hat er gesagt, oh ich weiß schon, Du lachst bloß, aber ihm gefällt es. – Er sagt das gemütlich, wie zwei einander aufziehn … wir müssen weiter.

»Idioten, das Entsetzlichste was es gibt. Die ganze Haltung schief, sitzen sie im Bett, den Unterkiefer vorgestreckt und hängend, gewaltsame, malmende Bewegungen damit, wenn sie nach Worten ringen. Unsauber. Ein Alter – Dementia senilis – wie ein dünner Ledersack über einem kleinen Gerippe. Versunkene rote Äuglein. Unruhige Abteilung. Schon am Hang schließen sich uns die Wärter an. Man hört Schreien und Schnattern wie wenn man sich einer Voliere nähert. Die Wärter sind sehr beruhigend starke, große, freundliche, saubere Menschen. Wir sind sieben Mann. Ein Wärter schickt sich an zu öffnen, ich will als erster eintreten, Sergio hält mich zurück. Der Wärter schließt mit einem Stecher auf, passt einen Augenblick groß und breit in der Tür und schiebt sich dann rasch hinein. Wir folgen. Wie wir zu einem Kranken treten, wird er sofort von zwei Wärtern taktisch flankiert, die übrigen stehen um uns, decken uns seitlich und im Rücken. In den Betten sitzen sie aufgeregt, schreien und gestikulieren. Manche tragen die Hände in Schlingen, die ihnen nur einigen Spielraum gewähren, angebunden am Bett, wegen der Gefahr des Selbstmords. Paralyse, Paranoia, Dementia praecox.

»Wie wir uns einem nähern, schreit er uns an. Ich verstehe nicht was. Große Gesten, Klagen, Beschimpfungen. Der Oberwärter erzählt irgend etwas, der Arzt ordnet irgend etwas an. Mit einem spricht Sergio länger. Wer ist der Herr fragt der Kranke (viele fragen so). Ein fremder Arzt. Nein, Du bist der siebente Sohn des deutschen Kaisers. Das ist nicht wahr, antwortet Sergio, sagen Sie es selbst. Non è vero radebreche ich. Ma tu il settimo figlio … No sage ich. Du lügst, Hund, Schwein und ein Kübel Beschimpfungen geht los über mich. Die Wärter drücken ihn mit großer Autorität ins Bett nieder und wir gehen weiter. Die, an denen wir vor bei sind, schreien hinter uns drein, andre schreien uns entgegen. Ein Alter, mit dem ich ein paar Worte spreche,m ist gut aufgelegt, macht Witzchen, plötzlich gleitet, man merkt wie er gleitet, er aus dem ganz vernünftigen Gespräch in Unflätigkeiten hinein, mitteilsam, geschäftig demonstriert er mir etwas an seinem Penis, setzt an um zu masturbieren. Non far porcheria sagt energisch (streng) der Arzt und die Wärter fassen zu. Am Gang Frauen, hübsche, kleine Mädchen, die die Kranken besuchen; sie grüßen uns höflich und mit Vertrauen. Es ist Sonntag.

Fortsetzung morgen.

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