Getting Away With It

Getting away with it heißt mit etwas durchkommen: mit einer Lüge, einem  billigen Werk, einer Gesetzesübertretung. In seinem Buch Missing Out hat Adam Phillips sich über diesen Ausdruck Gedanken gemacht, und da hat er 2012 etwas gesehen, was sich heute breitmacht und durch Trumps Treiben offenbar geworden ist.

Er zitiert dabei Richard Rorty, einen US-Philosophen, der seine Richtung, den Pragmatismus, so  beschrieben hat:

Wir werden uns nicht länger gegenüber übergeordneten nicht-menschlichen Werten wie der Wahrheit und der Realität verpflichtet fühlen.

Er nannte Wahrheit und Realität »entities«, also Einheiten oder Wesenheiten, gegenüber denen wir keine Verantwortung oder keine Verpflichtung mehr haben sollten, und desgleichen sollten wir auch Gott oder einem Gott-Surrogat gegenüber keine Verpflichtungen haben.

Wer diese höheren Instanzen nicht anerkennt, muss wenigstens das Gesetz oder die Regeln anerkennen. Wer mit einem Verstoß durchkommt, so schreibt Phillips, verändert sich selbst, aber nicht das Gesetz; er hat sein Schlupfloch gefunden. Er bricht das Gesetz und bricht es doch nicht; das Gesetz ist sein Komplize geworden. Mit etwas durchzukommen ist wie eine private Sprache innerhalb der öffentlichen Sprache sprechen. Es ist der Sieg des privaten Egoisten.

Trump wollte mit seinen Verdrehungen der Wahrheit durchkommen. Das ist nicht ganz gelungen, aber die Welt drehte sich trotzdem weiter. Auch die Fake news sind kein Problem, Präsident ist Präsident. Was an höchster Stelle geht, geht vermutlich auch hier unten. Man muss alles ausnutzen. Phillips meint, man glaube nicht mehr an das Ewige Leben, aber daran, dass das Leben hier reicher und besser werden kann. Gesprochen wird von Kreativität. Lebe reicher mit Kreativität! Wer kreativ mit einem Gesetz umgeht, umgeht es auf elegante Art. Vorbei an den Kontrollinstanzen (vor allem an der eigenen, weg mit ihr!) kann man sich alles holen, was man fürs Glück braucht.

Adam Phillips sah einen gesellschaftlichen Trend und wurde vier Jahre später durch Trump triumphal bestätigt.

Doch was ist, wenn mit etwas durchkommen ein neues moralischen Prinzip oder Projekt wäre? Wenn es eine neue Moralität ankündigte? In dieser neuen Moralität – sie klingt eher wie ein moralisches Spiel oder die Parodie der Idee der Moralität – bestünde moralische Größe in der Fähigkeit, sich erfolgreich von den Regeln zu befreien, denen man zugestimmt hat. … Der Gute Mensch würde durch den  Beeindruckenden Menschen ersetzt; und was beeindrucken würde, wäre, etwas tun zu können, ohne bestraft zu werden; die erträgliche Leichtigkeit des Seins. Wo es einst die Prinzipientreuen gab, da gäbe es die Opportunisten; die Schlauen würden die Frommen verdrängen.

In Italien gibt es beide, aber irgendwie verehrt wird eher il furbo, der Schlaue, der auf Umwegen zum Ziel kommt. Doch in Italien ist vieles möglich, man ist tolerant. Ein Kommunist kann gläubiger Christ sein und ein furbo kann auch fromm sein.

Diese neuen Moralisten würden nicht unmoralisch sein, weil sie für ihre neue Moralität vom Gesetz abhängig wären. Sie würden selbsterklärte Doppelagenten sein. Sie würden ihre Doppelzüngigkeit nur praktizieren können, indem sie sie ankündigten. Das Verbrechen wäre, ertappt zu werden. Sie würden die Welt so, wie sie ist, beibehalten müssen und nicht gegen sie rebellieren, aber sie weiterhin hintergehen. Sie wären für Recht und Gesetz. Und sie hätten nur einen Feind: ein unanfechtbares Gesetz oder, um es anders auszudrücken, eine allwissende Autorität. Sie würden zu Liebhabern von Schlupflöchern werden, von scheinbarer Größe, von Dingen, die man gut umgehen kann. Aus einem Gesichtspunkt wäre es eine Moralität für die Desillusionierten, könnten man sagen; oder für die, die an eine höhere Autorität glauben wollen und nicht an sie glauben wollen, beides zur selben Zeit.

Durch Trump und andere nahm eine gesellschaftliche Unterströmung Gestalt an, materialisierte sich. Was insgeheim geglaubt wurde, darf sich nun offen zeigen. Darum müssen wir auf Doppelzüngigkeit achten. Die  Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte kürzlich einen launigen Artikel über die Euphemismen im Marketing-Geschäft und in unserer modernen Welt, bei dem nichts ausgelassen wurde. Eine schöne Auflistung, wbei man sagen muss, dass die Autorin selbst euphemistisch vorging, weil sie in dem Beitrag nie das Wort Lügen verwendet, die die sprachlichen Verschönerungen ja eigentlich sind.

Aber das Leben wird schwieriger, und wer weiß, wie sich alles verzerrt und was die Folgen sind, wenn die Wahrheit verdreht wird von vielen, wenn man niemandem mehr glauben kann, wenn man immer vermuten muss, dass der andere nur seinen Vorteil sucht. Doppelagenten: Man ist plötzlich misstrauisch in der Apotheke und in der Arztpraxis. Wo man früher überzeugt war, dass einem da vorbehaltlos geholfen würde, ahnt man nun, dass dort auch etwas verdient werden soll … am eigenen kranken Körper.

Gott ist für tot erklärt worden, auch nach Nietzsche, und andere Werte verschwanden mit, und dann landen wir wieder bei Locke, dem Kampf aller gegen aller, jedoch geführt mit Schlauheit und Raffinesse. Ich vertraue auf unser Gefühl. Die Guten und die, die auf unserer Seite sind, erkennen wir sofort. Und von dem Leben dort draußen sollte man sich fernhalten, so gut es geht.           

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