Mario (und Delta) Luzi

Mario Luzi gehört zu den Dichtern, die im 20. Jahrhundert die moderne italienische Lyrik geprägt haben – die anderen sind Eugenio Montale, Giuseppe Ungaretti, Salvatore Quasimodo, Pier Paolo Pasolini und Cesare Pavese. Quasimodo erhielt 1975 den Literatur-Nobelpreis, Montale 1975. Ich habe ein längeres Gedicht von Luzi ausgewählt, das die Schönheit, Klarheit und Härte seines Schreibens repräsentiert.038Vorher will ich noch kurz an Delta Braghetti geborene Luzi erinnern, die am 17. Dezember in Camerino starb, 87 Jahre alt. Zwei Jahre vorher war sie noch mit Giovanna, meiner Mutter und mir auf Badeurlaub in Giardini Naxos auf Sizilien gewesen. Schöne Erinnerung. Dann geriet etwas in ihr durcheinander, eine Lungenentzündung kam dazu, und nach drei schweren Wochen gab sie endlich auf. Das Foto links zeigt sie in der Seilbahn hoch zum Ätna, zeigt sie, die nun Asche ist, aber in anderer Form anwesend, irgendwo, wo wir nicht so einfach hinkönnen.

Mario Luzi wurde 1914 in Castello bei Florenz geboren und arbeitete als Gymnasiallehrer (wie Quasimodo) und später als Professor. 1905 ist er gestorben. Sein Werk ist schmal, und es gibt auch Bücher in deutscher Übersetzung. Eins (von 1998) stammt von Hanno Helbling, dem langjährigen Feuilleton-Chef der Neuen Zürcher Zeitung, der bei ein paar Veranstaltungen im Casa di Goethe neben mir saß, weil er nach Rom gezogen war. Helbling starb am 2. Februar 2005 in Rom, zwei Monate vor Papst Johannes Paul II. (und vier Monate nach meinem Wegzug aus der Ewigen Stadt).

Luzi also aus Florenz, Montale aus Genua, Pasolini aus dem äußersten Nordosten, Pavese aus dem Nordwesten … das ist wie bei den großen Radfahrern und allem Wichtigen in Italien so, die Leute aus dem Süden sind rar. Quasimodo immerhin kam aus Ragusa, lebte dann jedoch in Mailand. Und gerade kam im Fernsehen, beim »Tatort«, eine Mafia-Geschichte mit Sizilien-Besuch, die Kopper von der Seite Lena Odenthals entfernte, die ein Dream-Team zerstörte. War der einzige Tatort, den ich schaute. Aber ich glaube, damit ist es vorbei.

Das Gedicht von Luzi hat keinen Titel. Es ist ziemlich pessimistisch. So fühlt man sich manchmal. So ist das Leben. Man kann das auch mal rauslassen, dafür ist Dichtung da. Kein Zufall, dass gerade dieses Werk der heroischen Akzeptanz der Existenz mich angesprochen hat. Es drückt ja nicht unbedingt Lebensekel aus, sondern, könnte man sagen, eine (oder die, wie man will) Wahrheit über unser Leben. Religiös ist das aber auch. Die Hoffnung steht am Schluss. Die Engel helfen.

DSCN4885Sono – suppongono
chi? Gli angeli – una frase,
poche sillabe, dette
o scritte, chi sa dove
e quando in una lingua
verosibilmente umana,
mi sono qui trovata
sola a volteggiare
nel vento delle ere
smemorato di me
e del mio autore, ignara
del significato avuto
e di quello preparato
per quale mai remota
opera avvenire,
se avvenire, luogo
e tempo ci sarà
per me e non esilio
sempiterno.
Oh vorrei finire,
essere cancellata
dal detto e dal dicibile
giacché non fui pregiata
per utilità o per grazia,
non ritenuta, scartata
per improprietà o inconvenienza,
DSCN5472gettata via, orfana, superflua:
altro senso se ce l’ho
lo ignoro e lo porto su di me
come soma o come scorno.
Dicono, però, loro –
gli angeli, suppongo – che non c’è
al non essere ritorno,
non c’è revoca al nulla
per quanto effato e pronunciato,
ma sarà
tutto perdonato, tutto sanctificato.

(Sotto specie umana, Garzanti Mailand 1999, S. 90/91)

♥ ♥ ♥

Ich bin – nehmen sie an,
wer? Die Engel – ein Satz,
DSCN5569wenige Silben, gesagt
oder geschrieben, wer weiß wo
und wann in einer Sprache, die
höchstwahrscheinlich menschlich ist,
ich bin hier und selber überrascht,
schwebe alleine herum
im Wind der Zeitalter,
ohne Erinnerung an mich
und meinen Autor, unwissend
von der Bedeutung, die ich hatte
und jener, die sich vorbereitet
für ein in der fernen Zukunft
liegendes Werk,
wenn es denn Zukunft, Ort
und Zeit dafür und für mich geben wird
und nicht das ewige
Exil.
Oh, ich möchte Schluss machen,
ausgelöscht sein
aus dem Gesagten und dem Sagbaren,
da ich nicht gelobt wurde,
weil ich nützlich oder man gnädig war,
nicht aufbewahrt, eher ausgestoßen,
DSCN5573weil ich unpassend oder unbequem war:
Wenn ich einen anderen Sinn haben sollte,
kenne ich ihn nicht oder trage ihn mit mir
wie den Körper oder die Verachtung.
Aber dann sagen sie auch –
die Engel, nehme ich an -, dass es keine
Rückkehr zum Nichtsein gibt,
man nicht ins Nichts zurückgeschickt wird,
so sehr das beschworen und ausgesprochen wird,
sondern dass
alles vergeben wird, alles geheiligt.

 

 

 

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