Purgatorio

Wer glaubt, dass nach dem Ende des Lebens alles zu Ende ist, braucht diesen Beitrag nicht zu lesen. Es geht ums »Fegfeuer« der christlichen Lehre oder das Purgatorium, in dem die Armen Seelen kauern und der Rettung harren. Schauen wir uns das Material an, das Volkskunde und Parapsychologie bieten.

Die Sündbeladenen kommen im Christentum als Verdammte in die Hölle. Schluss der Veranstaltung. Ewiges Leiden. Vertrauenswürdige Kommentatoren aus dem Jenseits meinen aber, dass jeder gerettet werden kann, aber es kann Jahrhunderte, wenn nicht länger dauern. Läuterung und Einsicht sind immer möglich. Eine ewige Verdammung für (wenn auch schlimme) Verfehlungen in einem kurzen, lächerlichen Menschenleben – das ist allzu grausam und war wohl ein pädagogischer Schachzug der Kirchenväter, um so richtig für Angst zu sorgen. Hat ja auch gewirkt.

009Die Seelen jedoch, die mit Gott versöhnt gestorben sind, büßen im Fegfeuer den Rest der Strafe ab. Das Volkswörterbuch des deutschen Aberglaubens von 1937 sagt dazu, die Seelen müssten nach dem Tod alte Gewohnheiten beibehalten, und sie sähen sich zuweilen gezwungen, »umzugehen«. Das sind die earthbound spirits, die sich nicht von der Erde lösen können und herumspuken, bis sie erlöst werden. Nach Volksmeinung müssen sie das gutmachen, was sie angerichtet haben. Manchmal treten sie als Irrlichter oder Tiere auf. Am Allerheiligentag um 12 Uhr sind sie frei und dürfen sich freuen, man sieht sie dann als Fische, Vögel, Frösche oder Kröten, denen man nichts zuleide tun darf.

Der November ist der Armeseelenmonat. Bei den Römern war dies der Februar, ihr vorletzter Monat des Jahres, und etwa von 13. bis 21. gedachte man der Toten. Die Armen Seelen warten auf die Erlösung. Man kann ihnen durch Gebete und das Lesen von Messen helfen. Dies alles könnte man für christliche Mythologie halten, hätte nicht der Pfarrer Leo Schmid die Stimmen von Toten aufgezeichnet, die darum baten, ihnen eine Messe lesen zu lassen oder für sie zu beten und zu leiden. Ich glaube, dass dies objektive Stimmen sind. Allerdings ist denkbar, dass – wie Robert Monroe dargestellt hat – es im Jenseits eigene Bezirke gibt, in denen die christlichen Vorstellungen herrschen und geglaubt werden. Diese christlichen Glaubensbezirke sind zwar schön, aber nicht die ganze Geschichte des Jenseits.

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Das Feuer war ein Bild, das bei den Gläubigen Eindruck hervorrufen konnte. Genausogut könnte es im Purgatorium (der Reinigungsort, ein Synonym des Fegfeuers) kalt und neblig sein. Es ist zu hören, dass viele Tausende (vielleicht Millionen) Seelen sich in einem Art Limbus befinden, im Bardo der Tibeter, einem Zwischenzustand. Als säßen sie um Mitternacht in einem zugigen Wartesaal der deutschen Provinz, ohne zu wissen, wann oder ob jemals ein Zug eintrifft. Menschen, die nie an ein Jenseits glaubten und verzweifelte, negative Menschen könnten Jahrhunderte in einer baumlosen Ebene sitzen, bis ein Engel kommt und ihnen Mut einflößt.

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In dem Büchlein Die letzten Dinge heißt es über die Armen Seelen, und das ist tröstlich: »Solange nur ein Schatten Finsternis in ihnen ist, vermögen sie die Fülle des göttlichen Lichtes, an der sich die Heiligen im Himmel erfreuen, noch nicht zu ertragen. … Nachdem sie im Gericht einen Strahl des göttlichen Lichtes geschaut haben, erfasst sie eine unbeschreibliche Sehnsucht nach Gott. … Jede Faser ihres Wesens drängt danach, sich mit Gott zu vereinen, von dem sie aus eigener Schuld noch getrennt sind.«

Die heilige Katharina von Genua (1447-1510) meinte: »Weil die Seele also erkennt, dass das einzige Hindernis ihrer Verbindung mit Gott die Sünde ist und dass sie davon nicht anders als im Fegefeuer befreit werden kann, findet sie darin große Barmherzigkeit und stürzt sich sogleich freiwillig dort hinein.« Die selige Anna Maria Taigi (1769-1837) opferte sich in Rom für die Armen Seelen ebenso auf wie die heilige Faustina aus Polen, die, 1901 geboren, hundert Jahre nach ihr starb.

Bei Dante ist das Mittelteil seiner Göttlichen Komödie das Purgatorio.

E canterò di quel secondo regno
dove l’umano spirito si purga
e di salire al ciel diventa degno.    

Er will von jenem zweiten Reich erzählen, in dem der menschliche Geist sich reinigt, um für den Aufstieg zum Himmel würdig zu werden. Damals, im Mai 2014, war ich durch den Ort Purgatorio auf Sizilien gefahren und hatte über ihn geschrieben (die Bilder zeigen ihn, und eins ist aus der Basilika Monreale), und, wie verrückt: In einem Café aß ich ein Paradies-Törtlein, so hieß das, und das musste sein, es war symbolisch.

Ich glaube, in einem Ort an der Küste noch vor Messina sah ich das Standbild Dantes mit einem Zitat aus seinem Werk. Ob es nun hilft, für die Armen Seelen zu beten, weiß ich nicht. Es könnte sein. Vielleicht ist ein Stoßgebet am Tag schon etwas.

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