Unser Land (2)

Dann kam die Bluttat von Münster. Der Bundesinnenminister hob Münster als »Friedensstadt« hervor. In der Stadt wurde 1648 der Westfälische Friede geschlossen, und auch der Zweite Weltkrieg endete für Deutschland hier. André Kaminski war damals (1986) auch in Münster. Mal schauen, was er schreibt.

Erst noch: Münster ist eine wunderbare Fahrradstadt, und die Münsteraner mit ihrem hintergründigen Humor mag ich. Der polnisch-jüdische Autor Kaminski hatte gehört, die Westfalen seien »zugenähte Säcke. Einsilbige Knasterbärte. Da glaube ich nicht. Sie kennen nur die Kunst, sich peinlichen Gesprächen zu entziehen. Würden sie doch weniger applaudieren und mehr reden.«

André Kaminski war zuvor in Lemgo gewesen, das im Zweiten Weltkrieg unversehrt geblieben war. In Münster jedoch hatte der Krieg gewütet.

Über die Hälfte der Stadt wude zermalmt, dem Erdboden gleichgemacht. (…) 25.000 Menschen überlebten, und mit ihnen einige Kleinigkeiten. Drei Eisenkäfige beispielsweise; am Lambertiturm, in dem seinerzeit die zerstückelten Leichen der Wiedertäufer ausgestellt wurden, gevierteilt und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Hier befand sich die Hauptstadt des kommunistischen Gottesreichs auf Erden. Das pochende Herz der Volksrevolution von 1534.

Das war im Gefolge der Bauernkriege, als Anarchie herrschte.

Merkwürdigerweise stand ein König an der Spitze des Volksstaates; der verführerische Weiberheld und Weltverbesserer Johann von Leiden. … Johann von Leiden hatte 16 Frauen, die reizendsten Mädchen von Münster. Sie lebten alle in Prunk und Pracht, während der Pöbel der eingeschlossenen Stadt hungerte. Er machte seine Weiber zu Königinnen, und als eine von ihnen ihm vorwarf zu prassen, derweil das Volk darben musste, haute er ihr mit dem Schwert den Kopf ab.

Hier entstand auch der Hirtenbrief des Bischofs von Galen, der »furchtlos die Verbrechen des Hitlerregimes verurteilte«. Ein Buchhändler verbreitete im geheimen den Brief. Dann schreibt Kaminski diese unvergesslichen Worte:

Der Bischof von Münster hat den ersten Schritt getan und nein gesagt. Nein ist der Ausdruck des ewig wachen Geistes, Ja hingegen das plumpe Idiom des Fleisches. Im Nein steckt die Auflehnung gegen das Animalische, im Nein ist Gott. Im Ja der Teufel; denn der Teufel will, dass wir mit dem Strom schwimmen bis in die Hölle.

Aber hat der Attentäter nicht auch nein gesagt? Ja, aber es war ein falsches Nein: Ein Nein zum Leben und zur Friedfertigkeit, ein Nein, das alles zerstören will. Völlige Sicherheit sei nicht möglich, sagte Seehofer, das ist richtig, bezieht sich aber auf Irrtümer und höhere Gewalt; er sprach auch von Verbrechen, »die man gar nicht für möglich halten möchte«. Gegen kranke Hirne hilft keine Polizei. Natürlich handelt es sich um eine Nachahmer-Tat. Die Anschläge mit Autos müssen in dem Sauerländer etwas ausgelöst, in ihm den Vernichtungswillen entfacht haben, in dem sich Hass und Selbsthass vereinten.

Mittlerweile weiß man mehr. Der Mann schickte umfassende Schriftstücke herum, er suchte nach Aufmerksamkeit, und dieses sonst normale Querulantentum mündete in die Tat. Er wollte ein Fanal setzen, da ihn niemand ernst nahm. Es ist ja auch so: Du kannst machen, was du willst, überall stößt du auf Gleichgültigkeit. Vermutlich hat keiner das Gespräch mit ihm gesucht, man hat gesagt, der spinnt doch, ignorier ihn, und früher hätte sich solch ein Kandidat mit dem Selbstmord »begnügt«. Aber dieser Mensch hatte die Meldungen der Presse im Kopf, diese Amokfahrten, und so verfestigte sich in ihm der Plan, andere mitzunehmen. Amok.

Der erste Reflex der Behörden ist immer, zu sagen, dass es keine terroristische Verbindung gibt. Ist es erfreulich, dass der Täter kein Islamist war? Es müsste eher doppelt beunruhigend wirken, dass ein gestörter, hoch aggressiver Zeitgenosse an einem sonnigen Aprilsamstag unter friedliche Menschen Tod und Verderben bringt.

Wie ist das möglich? Wir müssen Fragen stellen und Antworten finden. Der Hass im Internet? Auch Anders Breivik, der 70 junge Menschen in Norwegen erschoss, heizte in sich Hass und immer mehr Hass an. Zu Recht wurde auf den jungen Kopiloten hingewiesen, der im März vor drei Jahren seine Maschine in Selbstmord-Absicht in Südfrankreich zum Absturz brachte und 149 Menschen tötete.

Die innere Sicherheit ist bedroht – von innen her. Es geht uns gut, wir leben im Frieden – und doch gibt es anscheinend Menschen, die sich wie Zukurzgekommene fühlen und kein anderes Ventil finden als brutale Gewalt. Früher in der Fantasie, heute in der Realität. Da ergreift einen eine gewisse Ohnmacht.

Das ganze Klima ist nicht gut. Jeder einzelne sollte sich gegen Hassparolen zur Wehr setzen (wie Bischof Galen. Kaminkski: »Wenn sie nur dem Bischof folgten und das Maul aufsperrten! Sie tun es nicht und bleiben – wie die Römer – Philosophen.« ), und wir müssen unsere Welt überprüfen. Warum – ich sage es dauernd – diese Krimis, die das Fernsehprogramm dominieren? Huldigen wir nicht Mord und Verbrechen? Fällt uns nichts anderes ein? Ist das Leben nicht mehr als ein Fußballspiel, als ein verkaufsoffener Sonntag, ein Weinfest? Was ist der Grund, auf dem wir uns bewegen? Fragen stellen ist fast wichtiger.

André Kaminksi, Schalom allerseits, Suhrkam p 1989, S. 61-64

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