Gewalttätig

Der April endete für manipogo gut, fast 4.000 Abrufe für den Nicht-Künstler, der gleich weitererzählen kann: Ich gab alles ins Elster-Formular für die Einkommensteuer ein, drückte auf den Button Speichern und verlassen, fuhr mit dem Rad kurz weg, öffnete das Formular wieder: und alle Eingaben waren weg. Rasende Wut packte mich. Darum geht’s heute. Um Gewalt.

Meine Mutter ist auch unbeherrscht, das habe ich wohl von ihr. Manchmal werfe ich vor Wut einen Gegenstand in eine Ecke, wo er zertrümmert niederfällt. Das ist zum Glück nur Gewalt gegen Sachen. Wütend gab ich jedenfalls die ganze Scheiße nochmal ein, viel ist es ja nicht, ließ es überprüfen, schickte es dem Finanzamt. Dauerte ja nur 15 Minuten. Da denken wir nicht weiter drüber nach.

Poser 3Die Lage in Kabul ist fürchterlich. ISIS-Kleingruppen bringen Leute dazu, dass sie sich in die Luft jagen. Gerade schmuggelte sich einer unter Journalisten und zündete seine Bombe. Shah Marai starb, Fotograf und Bürochef der Agence France Presse in Kabul. Er hatte kürzlich in seinem Blog geschrieben, er sehe für sein Land keinen Ausweg. Die Journalisten fliegen zu ihren Zielen mit dem Hubschrauber, die armen Leute gehen trotzdem auf den Markt und hoffen, dass heute keine Bombe explodiert.

In Bayern hat anscheinend eine alte Frau einen siebenjährigen Jungen erwürgt, der ihr anvertraut war. Und das Begräbnis der Opfer von Toronto hat stattgefunden. Der junge Mann war angeblich ein Incel, ein unfreiwillig ohne Sex Lebender, die im Internet vor sich hin wüten. Die Gruppe umfasst in den USA 40.000 Männer, die es ungerecht finden, dass sie bei Frauen immer wieder abblitzen. Den Grund suchen sie bei anderen: den bösen Frauen und den attraktiven Männern, die jene ihnen wegschnappen. Ihre Lösung: weg mit ihnen!

Poser 2Dahinter steckt ein primitives Anspruchsdenken auf dem Humus beleidigten Mannestums, das nicht bereit ist, das Problem bei sich selber zu suchen. Die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft zeigt, dass wir die Innenschau verlernt haben; wir lenken unsere Wut nach außen. Jemand muss schuld sein; nur ich bin’s nicht. Eine Wehleidigkeit ballt die Fäuste, um etwas zu tun. Wenn Chögyam Trungpa Rinpoche über den Höllenbereich spricht, erwähnt er eine »atmosphärische Aggressivität«, die etwas Stickiges und Penetrantes und Klaustrophobisches habe.

Immer gehe es ums Vergleichen. Man hält sich für besser und klüger als andere (und schlimm ist es, wenn sich das nicht in der Welt abbildet), und

in Ihrem Überlegenheitswahn haben Sie etwas Expansives und Invasives, und damit erzeugen Sie immer mehr Hölle, weiten den Höllenbereich aus. Im Höllenbereich geht es darum, Ihr Territorium auszuweiten und es dann pausenlos zu verteidigen … Wir schleudern Feuer, und das Feuer strahlt auf uns zurück. Nirgendwo ist mehr Platz, um überhaupt Raum oder irgend etwas von Offenheit zu spüren. Raum muss immer sofort vereinnahmt und zum Sperrgebiet gemacht werden. …

Sie dachten, Sie könnten den Krieg gewinnen, wenn Sie überall eine Nasenlänge voraus sind und andere mit Ihren Ego-Trips überfahren. Aber nachdem Sie all das gemacht haben, sehen Sie jetzt, dass eigentlich gar keine Reaktionen von den anderen kommen. … aber am Ende stehen Sie doch nur mit Ihren eigenen Problemen da – nur Ihre eigene Negativität und Aggressivität kommt da zu Ihnen zurück.

Der Raum und Grenzen. Neben meinem Haus stehen drei Reihenhäuser, zu denen ein kleiner Weg führt. Die Bewohner wussten nichts Besseres, als wie in der Schweiz ein Schild anzubringen: Zutritt Unbefugten verboten. (In der Schweiz steht da immer noch: laut Beschluss vom soundsovielten, Busse: 200 sfr) Auf dem Weg nach Sulzburg ist eine Stelle, da fährt der Radler immer nach rechts und wechselt den Radweg, und prompt hat man an der Abzweigung auf den Boden ein Verbotsschild gemalt. Völlig überflüssig für die vier Radfahrer (einer bin ich), die da am Tag vorbeikommen. Das mit den Schildern ist auch latente Aggressivität.

Wenn man wütend ist, sieht man rot. Man ist nicht mehr richtig bei sich. Und die Leute wollen ja handeln, nicht grübeln. Also projizieren sie und lenken ihren Ärger nach außen; und dieser kommt zu ihnen zurück, und sogar Mord und Selbstmord helfen nicht, die Aggressivität bleibt in der Luft und erzeugt neues Leid und unendliches Leid für andere. Dieses Expansive spürt man heute überall, die Leute sind offensiv, und im Fußball geht es auch um die Eroberung des Raums, und das ist so profan, denn der echte Raum ist der innere, der des Geistes, und ihn muss man ausmessen und verstehen, und bei sich muss man anfangen.

Bilder von Rolf Hannes.

 

 

Ein Kommentar zu “Gewalttätig”

  1. Regina

    ja und selbst, wenn das Fußballspiel im Fernseh übertragen wird, ist diese athmosphärische Aggressivtät im Haus zu spüren und auf der Straße draussen zu hören. Ciao Gina