Ich liebte sie

Wie schön, frei zu sein! Manuskript abgegeben, Verleger zufrieden, und nun kann ich mich mehr manipogo widmen. Hier kommt noch ein Auszug aus meinem Werk, in dem es ums Verpassen geht beziehungsweise um die Angst davor. Allerdings steht es nicht in dem Buch, weil es zu sehr Abschweifung war, und darum veröffentliche ich das Stück auf manipogo. Es geht um die Liebe. 

Nicht gefragt zu haben ist in der Liebe das schlimmste Versäumnis. Oder nicht die drei Worte ausgesprochen zu haben: Ich liebe dich. Hier könnte sich die Furcht vor dem Verpassen als produktiv für die Zukunft erweisen. Man muss wissen, was man verpassen könnte und was die Folgen wären: lebenslanges Unglück in der extremsten Variante. Da helfen uns die SMS: Ich liebe dich schreibt sich leichter als es sich ausspricht. Wir haben ja alle Angst davor, uns zu entblößen und abgelehnt zu werden. Also lassen wir wie gelähmt die schönsten Situationen verstreichen, in denen wir es sagen könnten – oder fragen könnten: Bleiben wir zusammen? Kommst du mit? Gehören wir zusammen? ―, bis dann die letzte Gelegenheit verpasst ist und nur Reue und Selbstzermarterung bleiben. Darf nicht sein.

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Die Sache mit dem ausbleibenden Liebesgeständnis und unerfüllter Liebe ist ein echtes Trauma. Schon im 17. Jahrhundert schrieb der französische Dramatiker Jean Racine penetrant über Liebesgeschichten, die durch Missverständnisse schiefgingen – oder weil ein Geständnis ausblieb. Nicht nur russische Melancholiker und amerikanische Stadtneurotiker versagen hier (oft tun sie das in Tschechows Kurzgeschichten-Sammlung Von der Liebe), sondern auch ganz normale Menschen. Der Mann muss handeln, doch nicht alle schaffen das, und wir kennen wir das Problem zur Genüge, denn in vielen Filmen wurde es durchgespielt. Männer machen meistens Filme, darum scheitern immer wieder Männer.

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»Das Leben und nichts anderes« von Bertrand Tavernier (1989) ist so ein Film, in dem Philippe Noiret als Major Dellaplane seiner Filmpartnerin Sabine Azéma (Irène) nicht sagt, dass er sie üer alles liebt. Auch Anthony Hopkins als Butler Stevens gelingt es in dem Film »Was vom Tage übrigblieb« von James Ivory (1993) nicht, seine Zurückhaltung zu überwinden und Emma Thompson (Miss Kenton) seine Liebe zu gestehen. Und wie war der Song von einem, der 22 Jahre Tür an Tür mit Alice lebte, sie aber nie für sich gewinnen konnte?

Und auch ein Liebesgeständnis ist keine Garantie. Victoria sagt in der unvergesslichen Liebesgeschichte dieses Titels von Knut Hamsun dem Schriftsteller Johannes: »Jeg elsker Dem, sa hun … Det er Dem jeg elsker, sa hun.« So klingt das auf Norwegisch und heißt: »Ich liebe Sie, wissen Sie … Es sind Sie, den ich liebe, wissen Sie.« Aber vielleicht dürfen Frauen das nicht tun, und wenn sie es tun, werden sie dafür bestraft. Victoria muss jedenfalls mit Otto zusammengehen und Johannes mit Camilla Seier, und Victoria stirbt und schreibt in ihrem letzten Brief an Johannes noch einmal, wie sehr sie …

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Engel unterwegs

Dann wieder passiert es einfach so, unweigerlich, Liebesgeständnis oder nicht. Das lässt sich immer mal nachholen. Jede Liebesgeschichte hat ihre Mythologie, die sagt: Es musste passieren. Du konntest es nicht verpassen. Hättest du es verpasst, du hättest es nicht gewusst, nicht einmal geahnt. Zum Glück wissen wir nicht, was wir alles verpassen. Was alles sein könnte. Es müsste einen verrückt machen, und das darf nicht sein. Nur die Realität schenkt Befriedigung – daran muss uns Adam Phillips erinnern, der englische Psychotherapeut. Möglichkeiten sind Luftschlösser und verwehen wie Wolkengebirge im Wind.

Unerhörte Koinzidenzen (Zu-Fälle) können auftreten. Graham Lord wollte Graham Greene auf Antibes interviewen, und da Lords Freund Jules Lewis dabei war, löschten sie die Buchung im geplanten Hotel und gingen in Lewis‘ Lieblingshotel, die „Auberge du Colombier“ (das Hotel der Taube, zuständig für die Liebe). Am Pool gab es einen Anruf für einen anderen Herrn Lewis, den Jules gut kannte. Sie unterhielten sich, und Lord war begeistert von dessen Frau Juliet. Er wusste, sie würde in seinem Leben wichtig werden. Acht Wochen später verließ er seine Frau und sie Mr Lewis, und „für uns beide war es, wie zu Hause zu sein“, meinte Graham Lord.

Ohne die Wahl des Hotels hätten sich die beiden nie getroffen, und die Namensgleichheit war zudem frappierend. So etwas kommt vor, aber nicht zu oft. Den einzigen einem zugedachten »Soul Mate« (Seelenpartner) auf Erden zu finden, ist unwahrscheinlich; da ist das Verpassen die Regel. Ihn dennoch finden zu wollen, führt in die Desillusionierung, und manchmal dient die Suche als Vorwand dafür, viele Beziehungen einzugehen.

Sogar der amerikanische Autor Brad Steiger, Experte für Paranormales, warnt davor, auch wenn er das seltene Glück hatte, seine Seelenpartnerin – wie er meint – zu treffen. In seinem Buch Love Is A Miracle erzählt er es. In letzter Minute hatte er beschlossen, zu einem Vortrag zu gehen, als sich eine ihm unbekannte Frau neben ihn setzte und ihm Grüße von Sherry Hansen bestellte, die in derselben Stadt lebte. Steiger meldete sich bei Sherry, und später wurden sie ein glückliches Paar. Die Fremde kannte Sherry überhaupt nicht, war aber spirituell begabt; sie wirkte anscheinend in höherer Mission. Als Engel.

 

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