Cesare Pavese

Ich sollte mich gerade in Italien aufhalten, irgendwo an der Adria, und da passt es, einen italienischen Dichter hervorzuheben. Leopardi wäre gut, der stammte aus Recanati, aber Cesare Pavese liegt mir näher, obwohl er sozusagen in der gegenüberliegenden Ecke tätig war, im Nordwesten um Turin. Le Langhe hieß die hügelige, einsame Gegend, in der er aufwuchs, und über sie schrieb er.

Und über die Stadt schrieb er, die er dem mythischen, archaischen Land gegenüberstellt. Dennoch hat er immer in Städten gelebt: Rom, Mailand, schließlich Turin, wo er sich 1950, erst 42 Jahre alt, das Leben nahm. Kein Glück mit Frauen gehabt, darunter gelitten. Seine Gedichte überlebten. Sie sind schlicht, trocken, bodenständig, melancholisch.

Jeder Dichter hat einen unverwechselbaren Klang, und so auch Pavese. Ich höre ihn immer in der ersten Zeile von Tolleranza:

Piove senza rumore sul prato del mare.
(Es regnet lautlos auf die Wiese des Meeres.)

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So klingt auch der Rhythmus der anderen Gedichte, etwa I mari del Sud:

Camminiamo una sera sul fianco di un colle,
in silenzio. Nell’ombra del tardo crepuscolo
mio cugino è un gigante vestito di bianco,
che si muove pacato, abbronzato nel volto,
taciturno. Tacere è la nostra virtù.

Wir wanderten eines Abends an der Flanke eines Hügels,
schweigend. Im Schatten der späten Dämmerung
ist mein Cousin ein Riese, in Weiß gekleidet,
der sich anmutig bewegt, gebräunt ist im Gesicht,
verschlossen. Schweigen ist unsere Tugend.

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In Mania di solitudine (Manie der Einsamkeit) lässt er eine Frau erzählen:

Mangio un poco di cena alla chiara finestra.
Nella stanza è già buio e si vede nel cielo.
A uscir fuori, le vie tranquille conducono
dopo un poco, in aperto campagna.
Mangio e guardo nel cielo – chi sa quante donne
stan mangiando a quest’ora – il mio corpo è tranquillo;
il lavoro stordisce il mio corpo e ogni donna.

Ich esse ein wenig am hellen Fenster.
Im Zimmer ist es schon dunkel, und man sieht den Himmel.
Wenn man hinausgeht, führen die ruhigen Wege
nach einer Weile hinaus ins offene Land.
Ich esse und beschaue den Himmel – wer weiß, wie viele
Frauen auch jetzt gerade essen – und mein Körper ist ruhig;
die Arbeit erschöpft meinen Körper und jede Frau.

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Aber die Welt ist nicht immer beschaulich auf dem Land. In dem Gedichtband Lavorare stanca (Arbeit ermüdet) gibt es das Gedicht Luna d‘Agosto, in dem wir lesen:

La luna si leva. Il marito è disteso
in un campo, col cranio spaccato dal sole
– una sposa non può trascinare un cadavere
come un sacco -. Si leva la luna, che getta un pò d’ombra
sotto I rami contorti.

Der Mond geht auf. Der Ehemann liegt ausgestreckt
in einem Feld, mit von der Sonne zerschmettertem Schädel
– eine Ehefrau kann einen Kadaver nicht schleppen
wie einen Sack -. Es geht der Mond auf, der ein wenig Schatten
unter die verbogenen Zweige wirft.

Auch ein Tagebuch hat Cesare Pavese geschrieben, Il mestiere di vivere (Die Arbeit des Lebens; aber gemeint ist auch il mestiere di scrivere, des Schreibens), und Giovanna hat immer gesagt, das müsse ich lesen, dann erst könnte ich über Gedichte sprechen.

 

 

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