Vampire und Voyeure

La Repubblica schrieb über Montmartre und die Preise für Wohnraum dort. Berlin und Barcelona als angesagte Städte werden ja auch besiedelt von vermögenden Leuten, die dort leben wollen, wo’s spannend ist. In Italien entkommt man dem Tourismus auch nicht, ich hab’s erlebt.

Aber schlimm war es nicht. Durch Vinci, dem Geburtsort Leonardos, pilgerten ein paar Gruppen, die dem gepflegten Toskana-Tourismus frönten. Rom war natürlich voll; die gehetzten Gesichter der Reisenden am Bahnhof Termini! Ich schob mein Rad auf das entfernteste Gleis, um nach Foligno zu kommen, im strömenden Regen am 1. Oktober, und war froh, da rauszukommen.

Vinci

Vinci

In Mantua gab es kaum mehr ein Hotelzimmer. Der Tourismus konzentriert sich auf wenige Brennpunkte: Florenz, Siena, Rom, Venedig, Mantua. Gnadenlos war der Verkehr, der sich auf einer schmalen Straße auf Mantua zuwälzte, viele Lastwagen darunter, und vor der Stadt nach 18 Uhr waren bloß noch Autos, deren Besitzer das Weite gewinnen wollten, wie und wann auch immer. Doch das Hässliche fotografiert man nicht, höchstens wegen des Marienaltars vor der Autobahnbrücke.

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Am Tag darauf musste ich durch Brescia und Bergamo, eine Variante war für Fahrräder verboten, also auf eine Stadtautobahn bei Nieselregen, überholt von Vierzigtonnern, unwirtliches Niemandsland, in dem sich dann ein Schild aus dem Dunst löste, rechts, dann rollte man zweispurig auf Bergamo zu, wie eklig (»Bergamo alta ist hübsch«, sagte gestern jemand, Lüge, es ist ein Wolkenkuckucksheim, gelegen in einer nichtssagenden Wüste, die den Automobilen gehört.)

Sonntag bei Rimini: wenig Autos, viele Rennradler, Hunderte!

Sonntag bei Rimini: wenig Autos, viele Rennradler, Hunderte!

Irgendein Buddhist (war zu lesen in der Zeit, als das Internet noch übersichtlich und spannend war) schrieb einmal, der Tourist lebe vom Glotzen; wie ein Vampir sauge er den kulturellen Unterschied zu seiner Gegend auf und verändere das, was er hindurchwandernd begutachte, weil dann plötzlich der Konsum sich ihm zu Füßen wirft und das »Authentische« verdrängt, das der Tourist sucht (und zerstört, wenn er es gefunden hat). Das Authentische ist das, was einmal normal und nicht der Rede wert war, aber je knapper es wird, desto mehr wird es beredet, und niemand kann mehr naiv dem Authentischen pflegen.

Ganz schön öde: ein Hotelzimmer beziehen, herumlaufen, Museen besuchen, ins Restaurant, wieder herumlaufen, Plätze und Gassen und Schauplätze … bringt das irgendjemandem irgendetwas? Es macht müde, man hat das Gefühl, etwas geschafft zu haben, aber es ist genauso fruchtlos, wie zu Hause einen Kulturabend zu besuchen. Geschieht alles nur zum Zeitvertreib. Verändert dein Leben nicht.

Der ganze Tourismus ist verkommen und sinnlos, und wie sinnlos, das merkt man, wenn man Anfang Oktober durch Milano Marittima fährt nördlich von Ravenna, einen angesagten Badeort, dessen Hotels allesamt geschlossen sind, die Strände leer. Eine Totenstadt. Ein Potemkinsches Dorf. Die Totenstadt wird jeden Mai aufgepeppt, füllt sich, und vier Monate wütet und röhrt der Tourismus an den Stränden, bevor die Karawane wieder weiterzieht, zurück in die Städte. Das ist ein Rhythmus wie die Gezeiten.

 

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