Leicht wie eine Feder

Manche Todesfälle machen einem schwer zu schaffen. Da war ein Mensch, mit dem man nur bedeutungsvolle Blicke tauschte und mit dem man sich schon noch unterhalten würde … Dann hängt eine Todesanzeige am Eingang des Heims. Aber lang traurig kann man nicht sein; es ist eine Befreiung, wenn man glaubt, dass es weitergeht, und vielleicht auch eine solche, wenn alles endet.

Ich glaube ja, dass es weitergeht. Trotzdem. Die kleine Frau in ihrem Rollstuhl hatte große, wache, graue Augen, und wenn ich ging, winkte sie mir neckisch zu, und ich winkte zurück, und zuletzt warf sie mir sogar eine Kusshand zu. Dann aber war sie lange nicht an ihrem üblichen Platz. Sie hatte einen kleinen, verkrüppelten Körper und Schmerzen, Kreislaufprobleme kamen hinzu, und sie starb am Nikolaus-Vorabend in einem Krankenhaus. Am zweiten Advent las ich ihre Todesanzeige. Nichts mehr zu machen.

glücksbringer2Nun ist sie frei und freut sich vermutlich. Sie war intelligent, mit ihrer Kinderstimme sagte sie kluge Dinge, aber sie war eben in den Rollstuhl gebannt, konnte so eben über den Tisch schauen. Nun macht sie die Erfahrung, dass sie sich dorthin bewegen kann, wohin sie mag. Wir konnten sie nicht zurückhalten, der Tod ist unwiderruflich.

Im November hatte Victor Zammit auf seiner Seite ein Interview der Talkmasterin Megyn Kelly mit Cherie Aimee, die nach einem Herzproblem 90 Minuten lang tot war. Sie sagte, sie habe gewusst, dass sie gestorben sei.

Ich spürte dieses Licht, ich fühlte mich frei. Ich fühlte mich leicht wie eine Feder, frei wie ein Vogel. Ich war völlig in einem anderen Reich. Ich wusste nichts über Nachtod-Erfahrungen, und dann hatte ich meinen Lebensrückblick und wusste, alle meine Entscheidungen waren von Furcht diktiert gewesen. Das habe ich abgestellt. Und ich habe keine Furcht mehr vor dem Tod.

008Soweit Cherie Aimee. Im November wurde bei Zammit auch ein Buch vorgestellt, Every Breath Is Precious: How Dying Taught Me to Live von Leslie Joan Lupo. Sie erzählt in ihrem Buch von ihrem Rodeo-Unfall in den 1980er Jahren und dass ihre »Seele« den Körper kurz vor ihrem Sturz verlassen und zugesehen habe, was ihrem Körper dort unten passierte. Vielleicht, kann man spekulieren, bekommt man einen tödlichen Unfall gar nicht richtig mit, es tritt kein Schmerz auf, weil man schon draußen ist.

Weil man draußen ist? Was ist diese Seele, dieses man? Es ist unser innerstes Ich, der Astralkörper, der vielleicht auch im Schlaf sich entfernt und auf Reisen geht. Der ätherische Körper (die Bezeichnungen unterscheiden sich manchmal) ist in den physischen Körper eingelagert, ragt über ihn hinaus, ist dessen Blaupause und kann behandelt werden. Er ist womöglich das Fahrzeug, das den Astralkörper hinausträgt, etwas wie das okhema der Neuplatoniker.

Du wirst mich nicht wiedererkennen

In dem Buch Mystics, Magicians, and Medicine People von Doug Boyd kommt der indianische Schamane Rolling Thunder zu Wort, bei dem Boyd Jahre verbrachte. Er erzählte die Geschichte eines schweren Autounfalls, bei dem die Fahrerin starb, die junge Frau neben ihr aber im Koma in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Rolling Thunder besah sich den Körper und befand, dass sie nicht in ihm war: sie, mit ihrem Wesen und ihrer Lebenskraft. Würde sich jeder denken. Aber wo war sie denn?

Rolling Thunder setzte sich an ihr Klinikbett und schlief ein. Später dann, am nächsten Tag, erwachte er, und in derselben Minute erwachte auch das Mädchen. Rolling Thunder hatte sozusagen seinen Astalkörper ausgeschickt und erzählte, sie – das Mädchen – sei immer noch auf dem Feld gewesen (besser: ihr Astralkörper, ihre Seele), desorientiert, und er habe sie mitgenommen.

Das Mädchen berichtete, es sei für sie wie ein lebhafter Traum gewesen. Ein Freund gab ihre Erzählung wieder:

DSC_0162_bSie spürte den Aufprall beim Unglück, und dann verlor sie das Bewusstsein, und sie träumte, sie schwebe in dem Feld – sie und ihr Freund. Sie sah das Auto zerschmettert auf dem Dach liegen, aber sie konnte nichts damit verbinden. Sie glitten weiter durch das Feld. Es war wie die Leute, die auf dem Mond gehen, sagte sie mir. Aber dann bewegte sich ihre Freundin nach oben und immer höher, und sie konnte nicht so hoch kommen. Also rief sie »Warte auf mich«, aber ihre Freundin stieg immer weiter und sagte: »Ich kann nicht warten. Du bleibst, ich verschwinde.« Also setzte sie sich auf einen Felsen und rief, sie werde da warten. Die Freundin, fast schon außer Sichtweite, rief herunter: »Wart nicht auf mich. Wenn ich zurückkomme, werde ich andere Kleider anhaben, und du wirst mich nicht wiedererkennen.« Sie wartete eine lange, lange Zeit. … Nach einer langen Zeit – sie wusste nicht, wie lange – zog sie etwas von dem Felsen weg. Etwas zog sie durch den Raum, bis sie von ihrem Traum aufwachte.     

Als Abschluss des Beitrags und der Weihnachtszeit spielt hier Ryuichi Sakamoto Merry Christmas Mr Lawrence. Da kommen noch weitere Stücke (The Best of Ryuichi Sakamoto), und eine Kommentatorin bemerkt, bei Sakamotos Musik fühle sie sich wie außerhalb der Zeit und außerhalb der Welt.  

 

 

 

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