Die Kunst des Krieges

Der chinesische General Sunzi schrieb sein kleines Buch Die Kunst des Krieges vor 2500 Jahren. Noch im Zweiten Weltkrieg, also vor 80 Jahren, wäre es nützlich gewesen, vielleicht auch noch 2003, als die Amerikaner in den Irak einmarschierten. Das war ja eine anachronistische Operation, die nicht glücken konnte. Was sagt Sunzi dazu?

Sunzi sagt, es gebe fünf gefährliche Fehler, die jeder General haben könne: Unbekümmertheit, Feigheit, ein empfindliches Ehrgefühl, ein ungezügeltes Temperament und übergroße Sorge um das Wohl seiner Männer. Damals, 2003, wolle sich die Großmacht USA für 9/11 rächen und marschierte ohne große Vorbereitung los und ohne eine Ahnung davon, was man mit dem Territorium anstellen wollte: also ein zorniger Angriff aus verletzter Ehre, unbekümmert vorgetragen. Da wurden schon drei der fünf schlimmen Fehler begangen.

00677rDie schlechteste Politik ist laut Sunzi, befestigte Städte zu belagern; das koste zuviel Zeit und Personal. Militärs sind ja meist reaktionär und obstinat. Von 1914 bis 1918 pflegte man ein Vorgehen wie im 19. Jahrhundert, wobei dieses sein Gegenteil war, nämlich der sinnlose und verlustreiche Stellungskrieg, der an die Belagerungen im Mittelalter erinnerte.

Sunzi erklärt: »Wenn der Kampf nicht mit einem Sieg enden wird, dann darfst du nicht kämpfen, selbst wenn der Herrscher es befiehlt.« So etwas war vor 2000 Jahren in China anscheinend möglich. Die deutschen Generäle mit ihrer altpreußischen Nibelungentreue aber ließen sich die Durchhalteparolen Hitlers in Stalingrad gefallen; sie opferten ihre Leute, sie selbst betraf es ja nicht, aber für sie war ihr Feldherr der größte aller Zeiten und wie ein Gott. Keiner widersprach. Die Kriegskunst des Feldherrn war nach den Anfangserfolgen jämmerlich.(Abbildung links: Der chinesische Krieger Zhang Fei, gestaltet durch Yoshiume Utagawa, 1819-1879; courtesy of Library of Congress, Wash. D. C.)

Sunzi meint, wenn du dich selbst kennst und deinen Gegner, wirst du immer siegen; wenn du nur dich kennst, unterliegst du. Und: »Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen.« Die Klugheit ist wichtig.

Übe im Krieg die Verstellung, und du wirst siegen. Bewege dich nur, wenn ein wirklicher Vorteil zu gewinnen ist. … Deine Schnelligkeit soll sein wie die des Windes, deine Festigkeit wie die des Waldes. … Deine Pläne sollen dunkel und undurchdringlich sein wie die Nacht. … Überlege jede Bewegung ganz genau. Siegen wird, wer den Kunstgriff der Täuschung beherrscht.

 

Chinesische Truppen 1943. Foto von Franc Cancellare (Dank an Library of Congress, Wash. D.C.)

Chinesische Truppen 1943. Foto von Franc Cancellare (Dank an Library of Congress, Wash. D.C.)

Was heißt aber Bewegung? Truppen bewegen sich. Ist das ein denkbarer Krieg der Zukunft in unseren Breiten? Alles deutet auf Hi-Tech-Kriege hin, bei denen Software wichtiger sein wird als der herkömmliche Soldat. Macron will eine europäische Armee, Frau Merkel stimmte zu, aber das ist auch der pure Anachronismus und ein Verschleudern von Milliarden. Wenn Europa nicht gedanklich zu einigen ist, wird eine gemeinsame Armee bestimmt nicht das einigende Band sein. Die deutsche Armee soll technisch erneuert werden. Man will halt die deutsche Rüstungsindustrie fördern, weil man meint, das tun zu müssen. Alle halten krampfhaft an alten Mustern fest.

Alles ist hochtechnisch und hoch komplex, die Nationalstaaten spielen nur im Fußball noch eine Rolle, man weiß eigentlich nicht, wer wen besiegen oder unterjochen wollen würde, zum Glück ist diese Welt vollständig im Materialismus versumpft, und sie ist zufrieden damit. Wie schrieb der preußische Generalfeldmarschall Moltke (1800-1891) an Bluntschli:

Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ist ein Glied in Gottes Weltordnung. In ihm entfalten sich die edelsten Tugenden des Menschen, Mut und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit mit Einsetzung des Lebens. Ohne den Krieg würde die Welt im Materialismus versumpfen.

Das ist das Pathos des 19. Jahrhunderts. Edelmut braucht Emotionen, braucht ein Motiv. Sunzi sagt: »Nun muss, damit sie den Feind töten, der Zorn unserer Männer erweckt werden.« Derzeit gilt das für die Handvoll einsamer Wölfe, die ihren Zorn im Unsichtbaren aus dem Internet nähren und von Zeit zu Zeit Unschuldige töten. Dieser Krieg einiger Schwachköpfe gegen die Welt — unerklärt und schwer erklärbar — ist der einzige, der uns Sorgen bereitet.

Sonst kommt einem beim Lesen der Ratschläge Sunzis oft der Fußball in den Sinn, und das ist gut so. Sei der General der Fußballtrainer, seien die Truppen die Spieler, und unsere Welt weiß nichts vom Krieg. Von betrunkenen Fußballfanhorden halte man sich allerdings fern.

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