Japan und die Liebe

Die Liebesaffäre muss für Bill im jüngsten manipogo-Beitrag erleuchtend gewirkt haben – zumindest für ein paar Wochen.  Vielleicht eher: der überirdische Sexualakt. Wie ist es eigentlich mit der Liebe, die als romantische Liebe eine Erfindung des 12. Jahrhunderts sein soll? Wir schauen uns das an, mit Japan als Spiegel.

00476rYukio Mishima (1925-1970) verehrte das Buch Hagakure des Samurai Jōchō Yamamoto, das zwischen 1710 und 1716 von Tsuramoto Matazaemon Tashiro überliefert wurde. Mishima stellte Hagakure in seinem Buch Via del Samurai vor (Weg des Samurai). Was ich vor sechs Jahren nur paraphrasierte (in Geheime Liebe) – eine Stelle über die Liebe in Okzident und Orient –, will ich hier übersetzen (rechts Komurasaki und Gonpachi, die Prostituierte und der Krieger, von Utamaro II, 1810, Dank an Library of Congress, Wash. D. C.) :

Außerdem ist Hagakure eine Philosophie der Liebe. Die Japaner besitzen eine einzigartige Tradition, was die romantische Liebe angeht, über die sie ein ureigenes Konzept entwickelten (ren’ai). Im alten Japan war die Fleischeslust bekannt (koi), aber nicht die Liebe (ai). Im Okzident, bis zu den Zeiten des antiken Griechenland, wurde zwischen eros (Liebe) und agape (Liebe Gottes zur Menschheit) unterschieden. Eros war zuallererst die fleischliche Liebe, trat aber in das Reich der Ideen ein (die höchste Vorstellung, die der Vernunft möglich ist), wo sie von Plato in seiner Philosophie perfektioniert wurde. Agape ist die spirituelle Liebe, völlig abgetrennt vom Begehren des Leibes; und sie wird später die christliche caritas.

007Agape und Eros seien in Europa immer als Gegensätze betrachtet worden. Die ritterliche Liebe habe ihre Matrix im Kultus der Jungfrau Maria gehabt (Eros), doch es sei wahr, dass es sich um Liebe als Agape gehandelt habe, nicht um Eros. Auch der Patriotismus des 18. Jahrhunderts habe in Europa auf der agape basiert: Liebe zum Vaterland. Beides körperlose Liebe, die viel Sublimation verlangte und in beiden Fällen durch ihr Gegenteil kompensiert wurde, durch körperliche Beschädigung und Zerstörung von Gegnern.

Die Kirche verteufelte den Leib, und René Descartes unterschied die denkende und die ausgedehnte Substanz, brachte das Leib/Seele-Problem in die Wissenschaft. Die Trennung von Geist und Körper hatte Folgen, und es schrieb Oliver Sacks:

Die Torheit beginnt, wenn wir versuchen, metaphysische Begriffe und Objekte auf mechanische zu reduzieren: Welten auf Systeme, Besonderheiten auf Kategorien, Eindrücke auf Analyse und Realitäten auf Abstraktionen. Dies ist die Tollheit der letzten drei Jahrhunderte.

Der Westen hat immer Trennungen und Abspaltungen in die Welt gebracht. Der Geist verlor an Kredit, das Körperliche (das Materielle, Materialistische) trat seinen Siegeszug an ohne Freude und Lust daran. Es war einfach das platte Herummachen mit den Dingen, die man vor der Nase hat, und von Eros keine Spur. Die Wissenschaft baute ihre Mauern, die Liebe zu Vaterland wurde zum Fanatismus, der den Körper des anderen zerstören wollte.

Mishima erklärte, in Japan gebe es so etwas wie Liebe zum Vaterland nicht. Es gebe auch nicht die Liebe zu einer Frau. In der spirituellen Weltsicht der Japaner seien Agape und Eros vereint. Wenn die Liebe zu einer Frau keusch und rein sei, unterscheide sie sich nicht von der Liebe zu dem Souverän oder dem Chef (der für den Samurai extrem wichtig war). Man habe eine solche Liebe renketsu no jō genannt, sich in das imperiale Haus zu verlieben. Solch eine Liebe sei unverlierbar, für sie kämpfe man oder sterbe auch.

Die »platonische« Liebe eines Mannes zu einem anderen Mann wurde damals als höherstehend als die Liebe zu einer Frau bewertet. Der Therapeut W. Brugh Joy bestätigt das: Philos, die brüderliche Liebe der Griechen, sei edel und ähnele am ehesten der Bedingungslosen Liebe, die Eros und Agape verbinde sowie Körper und Seele. Diese Liebe sei das Wahre und die große Heilerin.

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