Placebo-Medizin

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte am 23. Februar als Leitartikel den Beitrag »Ein Placebo ist die beste Medizin«. Dort hieß es, wenn sich diese Erkenntnis durchsetzen würde, »stände nicht nur die Schulmedizin vor einem Scherbenhaufen …« Schön wär’s. Als Autor eines Buches über Placebo muss ich darauf reagieren.

Dass solch ein Artikel derart groß platziert erschien, zeigt uns, dass der Placebo-Effekt im Mainstream angekommen ist. Die große konservative Zeitung will einmal etwas dazu sagen, fühlt sich berufen und gedrängt dazu, denn sie ist ja Freundin der Hardcore-Schulmedizin und der Pharmaindustrie und erklärte Feindin von Heilmethoden wie Akupunktur und Homöopathie, die sie – in deren Kampfjargon – als »abstrusen Humbug« abqualifiziert, als »bizarre Ideologien«.

»Hier wirken nur Texte, Zeichen, Narrative, die Patienten hinters Licht führen und betrügen«, schreibt der Autor Martin Andree. Die FAZ hat ja als vagen Hintergrund immer Adorno und die französischen Semantiker, und von Narrativen und Zeichen zu sprechen, macht sich immer gut, damit zeigt man sich als auf der Höhe der Zeit argumentierend. Auch den Schamanismus zu erwähnen, ist hilfreich, damit will man den Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen.

Überall wirken Texte, Zeichen, Narrative. Auch in der Arztpraxis. Sollte man nun den Arzt oder die Ärztin zu besseren Schauspielern ausbilden, fragt der Autor so halb ernsthaft. Damit würden sie aber auch Patienten »hinters Licht führen und betrügen«, sage ich. Es würde reichen, wenn sie mehr Zeit für die Patienten hätten und mehr Einfühlung. Schade, ja, dass Placebo so negativ dargestellt wird, denn ein echtes Gespräch kann zu einem Placebo-Effekt führen, also zu Heilung ohne eine konkrete Gabe, und niemand würde den Erfolg einer Psychotherapie als Placebo-Effekt darstellen wollen (obwohl es damit zu tun hat).

Der ganze Artikel krankt an einer Unschärfe der Begriffe. Ein Placebo ist ein Leermedikament, und der Placebo-Effekt ist das, was durch ihn auftreten kann, eine Art Selbstheilung, bewirkt durch den Glauben, dass jemandem geholfen werden soll. Der Autor vermengt beide Begriffe, und das macht alles unklar.

Es mag sein, dass die Verabreichung von Placebos Ärzten und Ärztinnen verboten ist, aber der Satz »Verboten sind Placebo-Effekte dann wieder in weitaus weniger kritischen Kontexten« ist Humbug. Placebo-Effekte sind überhaupt nicht verboten. Dann müsste man Heilung an sich verbieten, denn da lassen sich Wirkungen beobachten, die nicht auf einen Wirkstoff zurückzuführen sind, sondern auf den Glauben an Heilung, befördert durch Autorität und menschliche Zuwendung.

Journalisten schreiben als letzten Satz gern etwas Abschließendes, das auch versöhnlich wirken soll. Also schreibt Andree:

Dabei wäre die Zeit reif für eine revolutionäre Befreiung der Placebos aus ihrem Nischendasein.

Was meint er damit, man müsse die Placebos befreien? Was sind für Andree die Placebos? Eigentlich geht es in diesem Diskurs um den Placebo-Effekt und damit nicht um Pillen ohne Wirkstoff, sondern um grundsätzliche Abläufe im Körper, die ungesteuert und ungespritzt ablaufen. Es geht auch um die Krankheit und was sie ist. Zwei Drittel der Besucher in Arztpraxen sind psychosomatisch krank. Ein Problem macht sich im Körper bemerkbar. Oft ist es Zeichen dafür, dass etwas im Leben nicht stimmt. Das Symptom wegzudrücken, hilft nur wenig. Das ist keine Heilung. Schon interessant, welche Rabulistik die Adepten der Evidence Based Medicine zu Hilfe nehmen müssen, um die Ganzheitlichkeit ins schiefe Licht zu rücken und den Wahnsinn ihrer spezialisiertenbasierten Supermedizin zu retten.

Dass nichts schädlicher ist für den Patienten ist als eine ganzheitliche Behandlung, weil er sich dabei auch als ganzheitlich krank erfahren würde. Dass gerade die therapeutische Eingrenzung der Krankheit, die Behandlung durch besondere Experten und Spezialisten hilft, eine viel stärkere und wirksamere Kontrollillusion auszuprägen, man könne seine Krankheit in den Griff bekommen.

Für einen bestimmten Tumor mag das zutreffen, für die überwältigende Mehrzahl der Krankheiten aber ist das Spezialistentum Quatsch. Das lenkt nur ab. Die therapeutische Eingrenzung der Krankheit ist die Illusion, denn die meisten sind ja tatsächlich ganzheitlich krank. Alle sind immer ganzheitlich krank.

Andree schreibt, der Lieblingsfeind der »Ganzheitlichen« sei die Pharma-Industrie. Man muss kein Ganzheitlicher sein, um die Machenschaften dieser Sparte zu verabscheuen, deren Produkte maßlos überschätzt werden und den wir Millionen und Milliarden sinnlos in den Rachen werfen. Das zeigt eben der Placebo-Effekt, denn auch Pillen mit echten Substanzen führen Placebo-Effekte mit sich. Wir wissen noch viel zu wenig, aber die chemische Substanz wirkt, wie Studien zeigen, eher zu 25 Prozent, allenfalls einmal zu 50 Prozent, aber vieles geht ins Leere.

Wenn die Schulmedizin Angst hat, durch den Placebo-Effekt vor einem Scherbenhaufen zu stehen, hat sie nichts begriffen. Es geht nicht um Mittel und wissenschaftlich belegbare Heilverfahren, sondern darum, dass die Medizin wieder menschlich werden muss. Die FAZ versucht schon einmal prophylaktisch, die Pfründe der Mediziner und Medizinerinnen zu sichern, indem es ihnen Argumente an die Hand gibt. Aber echte Argumente müssen klarer formuliert und begriffen worden sein, sonst geht der Schuss nach hinten los.

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.