Deutsche Gastwirte

Ich will bis Ende nächster Woche mein Radsport-Buch von 2006 erweitert und aktualisiert haben. Ganz stolz bin ich auf eine Passage des alten Hemingway über das Radfahren, erschienen posthum in Islands in the Stream: Wie schön es ist, in der Dämmerung mit dem Renner nach Paris einzufahren, an den Champs-Élysées entlang. Hemingway war auch einmal im Schwarzwald.

An diese Geschichte kann man wieder einmal erinnern. 23 Jahre alt war Hemingway, schon ein Veteran des Ersten Weltkriegs, und in den trüben Jahren danach trieb er sich in Europa herum, zum Fischen hauptsächlich, und sein Wohnsitz war Paris. Er schrieb als Korrespondent für den Toronto Daily Star. In den 1920-er Jahren bildete er seinen Prosa-Stil aus, und Fiesta brachte »Hem« 1927 den Durchbruch. 

Aus Oberprechtal im Schwarzwald – das ist etwas nördlich von Freiburg – schickte er seinen Artikel Deutsche Gastwirte nach Toronto, wo er am 5. September 1922 erschien, also vor 90 Jahren. Er ist in dem Buch 49 Depeschen abgedruckt. Der Einstieg: »Wir glitten und rutschten den steilen Waldhang hinunter und traten aus dem Schatten der Fichten auf eine helle Lichtung hinaus, wo eine Sägemühle und ein weißverputztes Gasthaus in der Sonne schmorten. Ein deutscher Schäferhund bellte uns an, ein Mann steckte seinen Kopf durch die Gasthaustür und sah herüber.«

Auf dem Hochblauen, Südschwarzwald

Bill Bird, Hemingways Freund, fragt höflich, ob sie zwei Doppelzimmer bekommen könnten. Der Wirt schnauzt: »Ihr könnt hier überhaupt keine Zimmer bekommen, heute nicht und morgen nicht und nie, ihr Ausländer …« Herr Trinkler aus Triberg hätte sie empfohlen. Sie wollten angeln. – Trinkler? Der habe hier nichts zu sagen. Bill sagt, sie hätten Hunger. Wie weit es dann zum nächsten Gasthof sei? – »Das müsst ihr schon selber herausfinden!« 

Nach sechs Kilometern auf staubiger Straße finden die vier – das Ehepaar Bird und das Ehepaar Hemingway – ein Zum Rössle. Die Frauen legen sich hin, die Männer holen sich in Oberprechtal den Angelschein. Hemingway schreibt: »Beim Abendbrot erlebten wir unser zweites Beispiel deutscher Widerwärtigkeit. Wir haben nur zwei erlebt in diesen zwei Wochen im Schwarzwald. Der Ausflug ist noch nicht zu Ende, aber uns reicht es.« 

Gastwirtschaft: bei den Mönchen in Andechs. Da ist es nett

Zwei »blondhaarige« Deutsche sitzen am Nebentisch. »Während des Essens mokierten sie sich auf deutsch laut über uns ›Ausländer‹. Dann standen sie auf und wollten gehen. Ich stand auf und schob meinen Stuhl vor, um sie durchzulassen, aber es war zu eng. Sie hätten durchaus die Möglichkeit gehabt, um den Tisch herumzugehen, aber sie griffen nach meinem Stuhl und schoben ihn beiseite. Wieder stand ich auf und ließ sie durch. (…) Einer der beiden gab schnarrend bekannt: ›Wir sind Deutsche.‹« Hemingway antwortet: »Du bist ein Schweinehund.« 

Bill packt schon eine Flasche am Hals, aber dann stehen zum Glück zwei Arbeiter in der Tür und ergreifen Partei für die »Ausländer«. Die Blonden räumen das Feld. Am nächsten Morgen gehen die Männer zum Angeln.  

14 Tage später berichtet Hemingway in Inflation in Deutschland über seinen Versuch, von Frankreich über Kehl nach Deutschland einzureisen. Es klappt. In Straßburg war kein deutsches Geld vorrätig, also wechselten sie in Kehl. Für 10 Francs bekamen sie 670 Mark. 800 Mark waren einen Dollar wert. Fünf Äpfel kosteten 12 Mark, ein Pfund Kaffee gab es für 34 Mark, ein Pfund Erbsen für 18 Mark. Der Bierpreis hielt sich im Rahmen: 10 Mark für den Steinkrug. Ein Stück Kuchen war für die kleinste französische Münze zu haben, für einen Sou. Also strömten die jungen Leute nach Deutschland und schlugen sich den Bauch mit Creme-Schnitten voll, und die Bäckereien waren schnell leer.   

Im Jahr darauf reist Ernest Hemingway wieder über Offenburg nach Deutschland ein: Einreise nach Deutschland, 2. Mai 1923. Ein Kellner klagt: »Voriges Jahr hatte ich das Geld zusammen für eine Gastwirtschaft in Herrnberg. Jetzt bekäme ich für das Geld nicht einmal vier Flaschen Sekt.« An der Wand stehen die Preise: Ein Glas Bier 350 Mark; ein Glas Rotwein 500 Mark; ein Wurstbrot 900 Mark; Mittagessen 3500 Mark; eine Flasche Sekt 38000 Mark.

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