Bernd spielt Will

Nach vielen Jahren habe ich wieder einmal Bernd Lafrenz in Freiburg auf der Bühne gesehen. Aber was heißt Bühne: Wir saßen auf den erhöhten Rängen und er, der Schauspieler, agierte unten, wo auf schwarzer Fläche nur ein künstlicher Baum und eine Kiste standen. Lafrenz spielt seit fast 30 Jahren hauptsächlich Shakespeare in eigenen Versionen, hat an die 10 Stücke im Programm und verkörpert alle Rollen selbst.

Bernd Lafrenz dürfte in meinem Alter sein. Nach einigen Jahren »im Geschäft« häuften sich die Einladungen und Gastspiele, und zum 20-jährigen Jubiläum mit den Shakespeare-Solos 2003 war er sogar in London zu Gast. Es war ein Ritterschlag. Lafrenz ist sehenswert: Windet sich einen Schal um den Kopf und spricht als Katharina, die wilde Frau, die in Der Widerspenstigen Zähmung gebändigt werden soll; dann springt er einen Schritt beiseite und mimt (ohne Schal) ihren Vater, und so führt er uns durchs Stück, abwechselnd als Erzähler und Akteur, und ein Dutzend Rollen kommen da zusammen.

Samstag und Sonntag Abend führte er die Shakespeare-Komödie im »E-Werk« in Freiburg im Breisgau auf. Er bezieht auch das Publikum mit ein, das zum Tagesanbruch (»Tagesanbrunch« schrieb ich zuerst irrtümlich; auch nicht schlecht) auf der Piazza in Padua Hähne, Kühe, den Wind und fallende Blätter nachmachen muss, später auch einen Chor beisteuern soll sowie ein Kussgeräusch. Leider waren die Samstags-Zuschauer etwas matt, aber wenigstens sparten sie am Ende am Beifall nicht; jeder Schauspieler weiß, dass jeder Abend anders sein wird und unvorhersehbar. 

Schauspieler in historischen Kostümen in Barletta, Apulien, 2011

Das hätte Will gefallen. »Will« nennt der englische Schriftsteller Anthony Burgess (1917−1993) in seiner temperamentvollen Biografie Shakespeare, 1982 erschienen, den größten Dichter der Insel. Burgess ist einer jener geistreichen und produktiven englischen Autoren, von denen man unbesehen alles (insgesamt 35 Romane) lesen kann, auch wenn er immer wieder auf A Clockword Orange (1962) reduziert wird, weil Stanley Kubrick einen Film daraus gemacht hat. Ich hole mir demnächst Beard’s Roman Women, das ist mein Thema: Drehbuchautor heiratet nach dem Tod seiner Frau wieder, doch dann erscheint ihm seine verstorbene Frau.     

Es gibt ein paar Literaturwissenschaftler, die nicht glauben, dass es Shakespeare gegeben hat. Burgess gehört nicht zu ihnen. Es gibt Dokumente, die einen »Shagspeare« oder »Shexsper« erwähnen, was verwirrend ist, aber seine Existenz ist belegt. Er wurde am 23. April 1564 in Statford-upon-Avon geboren, heiratete als 18-Jähriger eine 26-jährige Frau, hatte mit ihr drei Kinder, verschwand, da immer etwas rastlos, nach London, schloss sich Schauspielern an, hatte Liebschaften, und vor allem: schrieb Stücke.  

Schon als 30-Jähriger hatte er Richard III und andere Königsdramen abgeschlossen, auch Der Widerspenstigen Zähmung (The Taming of the Shrew), und mit 37 Jahren, 1603, verfasste er das Stück, auf das wir laut Burgess »am wenigsten verzichten können«: Hamlet. Will selbst trat im Theater als Geist von Hamlets Vater auf. Burgess schildert uns das Leben in London damals. Es war dreckig und laut, Tee und Kaffee gab es nicht; man trank zum Frühstück Bier, mittags und abends auch, und sogar die Schauspieler waren zuweilen betrunken und sagten Sätze, die nicht im Buch standen.  

Burgen, die Schauplätze der Königsdramen: Trani in Apulien

Das Globe Theater brachte seine Kunst auf den Höhepunkt, sein Name erhielt sogar ein adeliges Wappen, aber er hatte keine Nachkommen, und dann heiratete seine Tochter Judith auch noch einen zwielichtigen Typen, was ihn in Trauer stürzte. Das war drei Monate vor seinem Tod. Shakespeare hatte sich zurückgezogen, seine produktive Phase war vorbei, und eines Tages aß er zuviel Hering und trank zuviel süßen Wein, ging in die April-Kälte hinaus, und an seinem 52. Geburtstag wurde er begraben.  

Auch nach 400 Jahren ist sein Werk aktuell. Erst kürzlich dachte ich mir, König Lear zu lesen, und zum Glück gibt es Wills Gesamtwerk bei der Universität Princeton im Original. Als nächstes werde ich mir sein letztes großes Stück vornehmen, den Sturm (The Tempest) mit dem Magier Prospero. 

Ich werde nie den Tag vergessen, als in Deutschland gewählt wurde und ich in Hamburg arbeitete. Es wird 1987 gewesen sein, und man konnte den ganzen Tag im  Schauspielhaus verbringen, wo die Royal Shakespeare Company alle Königsdramen durchspielte. Die Schauspieler bauten blitzschnell die Szene auf, und dann sprachen sie dieses klare, schwingende Englisch (das zu Wills Zeiten anders, viel gröber ausgesprochen wurde) und waren einfach göttlich. Wie die Wahl an jenem Tag ausging, weiß ich nicht mehr (Kohl durfte jedenfalls weiterregieren), aber den Tag in Hamburg mit Shakespeare, den werde ich immer wissen.     

 

 

 

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