Kontingenz statt Transzendenz

Das wird nun ein Beitrag, den sicher keiner lesen mag. Schon der Titel ist schwer verdaulich. Aber ich muss ihn einfach schreiben, um mir über alles klar zu werden. Also versuche ich es mal – und so einfach wie möglich.

Die Philosophie von heute verwendet gern den Begriff der Kontingenz, obwohl keiner so richtig weiß, was er bedeutet. Ungefähr heißt er: Es ist alles offen, wir haben viele Möglichkeiten, es kann gut werden oder anders, eine Garantie fürs Gelingen gibt es nicht. Klingt irgendwie nach Fomo, der Angst, etwas verpassen zuu können; in Kontingenz drückt die Verwirrung über die Vielfältigkeit der Welt an.

Transzendenz dagegen ist das, was über unser Verstehen hinausgeht. Die Erfahrung des Transzendenten wird am ehesten Religiösen zuteil. Trans heißt ja jenseits oder weg – der Transport, die Transaktion. Die Transzendenz spricht von göttlichen Dimensionen, vom »Numinosen«, dem dunkel leuchtenden Reiz des Heiligen.

Die Philosophen glauben selten an Gott. Newton im 17. Jahrhundert und Kant im 18. Jahrhundert waren noch gläubige Autoren, aber schon Hegel Anfang des 19. zweifelte: Er wollte das Zufällige ausschalten. Dann kamen die Naturwissenschaften, für die die Welt eine Maschine war (und für viele heute ist sie das immer noch).

Dass die Quantenphysik und die Chaostheorie ihr Weltbild störte und zerstörte, ignorierten sie einfach. Auch paranormale Phänomene und Erlebnisse wie die vielen Nahtoderfahrungen werden nicht zur Kenntnis genommen. Das sind wirklich transzendente Erfahrungen, die uns eine Jenseitswelt und Fähigkeiten ahnen lassen, von denen man früher nicht zu träumen wagte.

Durch die Konsumwelt und die alles versprechende Technik ist man vom Göttlichen abgekommen. Die Weltsicht hat sich auf das Irdische geworfen. Heute schlägt man sich in der Philosophie mit banalem Quatsch herum. Man macht sich Gedanken darüber, dass das Leben eben das Leben ist: verstörend, unvorhersehbar, mannigfaltig, bunt. Kontingenz statt Transzendenz.

Aber jeder Mensch begegnet im Lauf seines Daseins dem Übernatürlichen, und sei es nur, wenn die Oma stirbt. Oder wenn der Geliebte einen verlässt. Wenn man den Job verliert oder nicht weiß, wozu man lebt. Der Gedanke an Kontingenz hilft da nicht unbedingt weiter – höchstens sagt er einem, dass es schon weitergehen wird, irgendwie.

Alles ist heute, wie Adorno gesagt hätte, »abgedichtet« gegen andere, tiefgreifende Erfahrungen. Doch wir müssen ja keine Philosophen lesen und können uns unser eigenes Weltbild basteln, in dem es jenseitige Dimensionen gibt. Wer in sich schaut, wird sie erkennen.

 

 

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