Vom Verschwinden der DDR (6): Simple Storys

Auf dem dtv-Buchumschlag von Simple Storys sind Klingelschilder an einer angeschabten Hauswand zu sehen. Zu lesen ist nur ein Name: Frank Beyer. Hat keine Klingel. Das und der Name bedeuten was. Alles in diesem Roman von Ingo Schulz (Geboren 1963) bedeutet was.

Der »Roman aus der ostdeutschen Provinz«erschien vor 20 Jahren und behandelt die 1990-er Jahre. Der Autor macht sein Werk mit dem Untertitel selber klein, das ist Taktik; auch Turgenjew, Lermontow und Dostojewski schrieben über die (russische) Provinz und stellten dabei die Welt dar. Bei Schulze ist die Welt die Nachwendewelt in Altenburg in Thüringen, doch die Ex-DDR kommt nur mittelbar und am Rande zur Sprache. Das Feuilleton natürlich hängte sich daran auf, Journalisten suchen immer die großen Bezüge.

29 Kapitel, und jedes Mal erzählt eine andere Figur, und die vermutlich ebensovielen Gestalten sind innerhalb der Texte mit ihren Lebensläufen miteinander verschränkt; vieles erklärt sich so zwischendurch mittels eines Halbsatzes, und man muss schon scharf aufpassen, damit man an Deck bleibt und den Durchblick behält. Coole Sprache. Wie meinte das Feuilleton: mitleidlos. Das Wort passt aber eher auf die Krimischreiber, die ohne viel Mitgefühl Handlung absondern wie eine Schnecke Schleim.

Schreiben. All das Geschriebene, das Argwohn verdient (siehe den Beitrag Buchwissen)… Enrico Friedrich, ein besessener Autor im Buch Simple Storys, stopft eines Dezemberabends seine Manuskripte in die Papiertonne und stürzt sich das Treppenhaus hinab. Auch das hat seine Bedeutung, die das Buch zwar nicht in Frage, aber in ihm dennoch eine Frage stellt.

Das Buch Simple Storys ist meisterhaft durchkonstruiert und ziemlich genial. Warum hat es mich dann so heruntergezogen? Vielleicht, weil es ein derart treffender Kommentar zu dieser Zeit in unserem Land ist. Er hätte gestern erscheinen können und würde immer noch unser Leben heute in Deutschland abbilden, in dem man so illlusionslos »bei den Sachen« ist.

Der »Glamour«, den man in der DDR damals im Westen suchte, ist nur schön angemalte Oberfläche. Im Buch ein paar schöne Szenen, doch meist so halb funktionierende, sich hinschleppende Beziehungen, ein wenig Sex, Haustiere und Zahnpasta und Autofahrten, durchs Leben torkelnde Darsteller, die sich längst nicht mehr fragen, was das soll. Man ist halt nun einmal da, mach das Beste draus!

Ach ja, Frank Beyer. War ein wichtiger DDR-Regisseur, machte Die Spur der Steine mit Krug, Im Artikel über ihn hab ich Beyer erwähnt. Ging in den Westen wurde dort untergebuttert, starb 2006 (braucht nun keine Klingel mehr), liegt auf demselben Friedhof wie Brecht, der in der DDR plattgemacht wurde und verbittert starb.

Simple Storys hinterlässt einen ähnlichen Eindruck wie Faserland von Christian Kracht, über das ich vor fast zwei Jahren mal geschrieben habe. Bei Stuckrad-Barre liest man Ähnliches. Man hat das Gefühl, in einem traurigen Land zu leben, in dem bei allem Geld wenig Freude aufkommt. Dazu muss man nicht unbedingt lesen; es reicht, herumzuschauen und die Atmosphäre in sich aufzunehmen. Peter Bichsel, der Schweizer Schriftsteller (Jahrgang 1935), sagte einmal, in Deutschland erlebe er die Unmöglichkeit, glücklich zu sein. Das fand ich arrogant, zudem von einem Schweizer gesagt… jedoch wird etwas dran sein. Er kennt seine Nachbarn.

Wir kennen schon alles und lassen uns illusionslos in die Zukunft hineinschieben, und alle Verheißungen (Digitalisierung! Schnelles Internet!) klingen schal. (Für mich klingt alles schal, jede Werbung, alle Anpreisungen von Kultur, alles Gequatsche). Wir wissen leider schon alles, und auch, dass Konsumwaren einen nicht glücklich machen. (Wir tun aber so, als wäre es nicht so, was bleibt uns übrig?) Wir wissen nur nicht, wie sonst wir glücklich werden können. Warum wir überhaupt glücklich werden wollten. Was wir wollen. Das ganze Land ist alt geworden. (Ich auch.)

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