Wie im Märchen

Werde charismatisch … und hol dir den Erfolg! Werde unwiderstehlich … und finde deinen Traummann! Nur zwei der lächerlichsten Titel aus der gängigen Ratgeber- und Lebenshilfe-Literatur. Zu glauben, alles ließe sich lernen, gehört zur Mythologie dieser US-amerikanisch angetriebenen Gesellschaft. Wer zynisch genug ist, den Buchtipps zu folgen, mag es schaffen; aber dann kommt der Katzenjammer.

Wir wollen hier nicht den Moralphilosophen spielen, aber alles in mir sträubt sich bei dem Gedanken, man könne Charisma oder sexuelle Attraktivität erlernen. Sicher glaubte auch Tertullian nicht, zu einem geduldigen Menschen zu werden, dennoch schrieb er, der »aufbrausende Kontroverstheologe« (Geza Vermes), 200 nach Christus den Traktat De patientia (Über die Geduld) und erklärt gleich zu Beginn, er sei der Ungeeignetste, über dieses Thema zu referieren. Bei ihm handelte es sich um eine Art Selbsttherapie, und Über die Geduld war vor 1800 Jahren, meint Vermes, der erste Ratgeber in Buchform, der uns vorliegt.

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Bei den Autoren über Charisma und Unwiderstehlichkeit geht es wohl nur um die Kohle. Das Buch Werde DSCN3520 unwiderstehlich: Wie du zur selbstbewussten Frau wirst und dir endlich deinen Traummann angelst  stammt von einem Mann, Darius Kamadeva, der auch Finde deinen Traummann geschrieben hat. Vielleicht finden es Frauen gut, dass das ein Mann verfasst hat; im Grunde geht es um die Jagd nach dem Mann, und man muss wissen, was der Feind denkt. Man liest bei Amazon am besten die Rezensionen, die das Buch vernichten: Darin steht die Wahrheit.  Da hat jedenfalls einer den Einfall zu einem Produkt gehabt, das sich zu einer Serie ausbauen lässt, und Kamadeva muss ein erfundener Name sein. Er lässt irgendwie an Kamasutra und an die indische Göttin Devi denken, klingt jedenfalls indisch und irgendwie cool. Die Verlagsszene denkt genau so.

Charisma könne man lernen; nun gut. Vor vier Jahren erschien ein Buch der Amerikanerin Olivia Fox Cabane darüber. Sie rät neben Grundsätzlichem etwa, nicht zu viel zu nicken, vor seinem Diskurs zwei Sekunden Pause zu machen und am Ende die Stimme zu senken. Das kann ziemlich angelernt wirken, und der Gesprächspartner könnte sich verscheißert oder benutzt fühlen. Das ist auch mit dem Neurolinguistischen Programmieren (NLP) so. Alles zynische Varianten, um Punkte zu machen; soziale Kontakte als Mini-Scharmützel. Das Leben als Kampf. In der Smartphone-Generation wird die Norm zur Goldenen Regel erhoben, alles wird in der Mitte immer breiter, und man weiß gar nicht mehr, was man sagen soll.

stierkamp

 

Eigentlich tun einem die Leute leid, die so verzweifelt auf der Suche sind, dass sie sich verbiegen und lächerlich machen, um auf irgendeinen zu stoßen, der der Traummann gewiss nicht ist. Der Kommerz kennt keine Gnade, die geheimsten Wünsche und Regungen werden auf den Markt getrieben und zu Kohle gemacht, und man bräuchte wiederum hunderttausend Ratgeberbücher, um die Verdrehungen und falschen Gedanken, die dadurch entstehen, wieder geradezurücken. Kann man sowieso nicht, und mir ist meine Zeit zu schade dafür. Aber ich würde gern eine Frau treffen, die sich vor mir wie aus dem Lehrbuch produziert; um sie zu studieren.

Ich bin eher ein Alptraummann als ein Traummann. Nicht böse, aber mit Gedanken, die heute derart seltsam wirken, dass eine Frau nach drei Tagen schon davonlaufen würde. Doch wenn man aus den Ratgeberbüchern wenigstens lernen könnte, dass das Leben Theater ist und nicht übertrieben ernst zu nehmen! Dass Schauspielern Spass macht und die gängigen Muster aufbricht! Jedoch fürchte ich, dieser Gedanke ist der Kommerzwelt zu anarchisch, die hat es nicht so mit dem Undurchsichtigen und Paradoxen. Die stört der Geist.

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