Alles gleichzeitig

Nach unserem Ausflug in die Anderswelt mit dem Reiseführer Kurt Leland vor sechs Wochen müssen noch ein paar Details geklärt werden. Etwa, dass – wie immer wieder berichtet wird – man dort drüben alle Objekte aus allen Blickwinkeln sehen kann; und dass es kein Nacheinander von Ereignissen gibt, sondern ein Gleichzeitig.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gibt es im Jenseits nicht; nicht wie bei uns, das berichten einhellig alle Jenseits-Korrespondenten und –Kommentatoren. Vielleicht schwimmt alles so daher und drängt sich auf, mit Bedingungen und Ursachen und der Alternative und mit allen möglichen Folgen, weil alles miteinander verkettet und untereinander verbunden ist, und ein »Fact« ist nicht von seinem Begleit-Beiwerk zu trennen.

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Ich habe womöglich schon erwähnt, dass ich das kenne. Wenn ich ein paar Minuten döse und einschlafe, quillt wie eine Seifenblase manchmal ein Bild herauf, das mir nichts sagt, und dann, fast gleichzeitig, kommt die ganze Geschichte und die Erklärung mit, und dann treibt das Ding schon wieder ins Vergessen und ist weg. Da bin ich wohl für ein paar Sekunden in die nichtphysikalische Welt getaucht. Manchmal sieht man auch »hypnagoge« Bilder und ist dann im Astralen, doch immer nur kurz.

Die uranfängliche Welt, in der alles selig mit allem verbunden war, gibt es auch heute noch. Ich denke mir, es ist die Quantenwelt, die Welt der allerkleinsten Teilchen. Seit fast 100 Jahren grübeln Physiker über sie nach, und Einstein wollte die Verrücktheit der Quantenwelt nicht akzeptieren und musste sich doch beugen. Es muss um 1925 gewesen sein, dass Max Planck und Werner Heisenberg auf die seltsamen Gesetze der Quanten stießen, bei denen es nichts Determiniertes gibt, sondern nur Wahrscheinlichkeiten.

In dieser Welt laufen Teilchen in der Zeit rückwärts, fliegen durch einen Spalt und »überlegen es sich« wieder anders, fliegen durch alle Spalte gleichzeitig, bevor sie sich »entscheiden«, was geschieht, wenn der Mensch eine Messung anstellt. Dann schafft er ein Ereignis. Misst er nicht, der Mensch, dann weiß er nicht, wo das Teilchen ist, und sie fluten herum, sind eigentlich keine Objekte, sondern Energiecluster, und manche gehören zusammen, sind »verschränkt«, und alles pulsiert als ein gigantisches Energiemuster. Nichtlokal ist das Zauberwort. Alles kann überall sein.

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Ohne unseren Körper sind wir reines Bewusstsein, pure Energie, können also überall sein, wenn wir wollen und auch alles über 360 Grad hinweg sehen oder aus vielen verschiedenen Blickwinkeln. Ein Autor schreibt:

Nichtlokal multipliziert Unendlichkeit in Raum und Zeit ist deshalb Allgegenwart. Wenn der Geist wirklich nichtlokal ist, ist er bereits überall. Dies bedeutet, dass er keinen Bedarf hat, irgendwohin zu »gehen«; denn es gibt keinen Ort, an dem er nicht bereits ist.

Die Zeit ist wohl auch ein erlerntes Phänomen, das durch die Bewegung der trägen Masse bei uns naheliegt. Geschehnisse schieben sich heran, scheinen eine Ursache zu haben und zu anderen Geschehnissen zu führen.

In der anderen Welt gibt es keine Zeit, wie wir sie kennen. Die Photonen etwa – das Licht – existieren unverändert seit Milliarden Jahren. Freilich hat unser Universum mit seinen trägen Massen eine Geschichte; mit der Entstehung der Körper ist die Zeit entstanden, die ja vielleicht zyklisch ist: Alles wiederholt sich irgendwann, alles wiederholt sich womöglich an einem Tag. Wie im Mythos: Immer wieder wird Christus geboren, und wieder erlebt er die Auferstehung.

DSCN1041Dort drüben: alles irrsinnig verdichtet. Rip van Winkle (in einer amerikanischen Erzählung) geht einen Abend mit den Riesen zum Kegeln; und am nächsten Tag sind auf Erden 20 Jahre vergangen. Er kommt zurück und kennt sich nicht mehr aus. Diese Geschichte ist nur eine Hilfskonstruktion um diese Nicht-Zeit verständlich zu machen. Die Verstorbenen die sich bei Konstantin Raudive oder Friedrich Jürgenson meldeten, taten dies in unglaublicher Kürze, gerafft, und manchmal ergab ihre Botschaft rückwärts gehört auch einen Sinn oder viele andere Details steckten darin: Zeichen für kaum glaubliche Verkettungen von Bedeutungen bei gleichzeitiger Negation der Zeit. (Illustration: In der Ausstellung Goodbye & Hello über Kontakt mit dem Jenseits, Bern Museum für Kommunikation 2009/2010, von mir mit gestaltet.)

Eine andere Zeit. Denken wir uns, wir könnten eine geschriebene Seite mit einem Blick total erfassen. So ungefähr. Etwas hat Anfang und Ende, und du bekommst es serviert wie einen 90-Minuten-Film in einer Sekunde. Denken wir uns die Zeit einfach weg. Nichts altert; Dinge geschehen zwar, aber sie geschehen mit einem plopp!, nichts von Ursache und Wirkung, sondern ein Aufglühen aller Begleitumstände. Und was sonst noch geschehen könnte, geschieht in einer wieder anderen Dimension, die man besuchen könnte. Das ist nur ein Herumtasten.

Für ein Bewusstsein ohne Körper gibt es keine Zeit. Freilich macht es eine Entwicklung durch, und darin ist es wieder mit dem Irdischen verbunden und verändert sich durch diesen Kontakt. Wir, das Bewusstsein, sind hier und jetzt und alles, was wir je waren und sein werden; der Körper ist nichts, ist nur sein Vehikel. Das, was denkt, denkt sich über alles hinaus.

 

 

Illustrationen: oben von Karl Heinz Renner; unten: Lichtspiel auf einem Kirchenboden

 

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