Klein und Groß Schnellendorf

Lassen wir mal die deutschen Truppen an der Grenze zu Polen stehen, wie es vor 80 Jahren war. Deutsche und Polen leben da heute zusammen,  Görlitz und Gorzelec, man arrangiert sich. Aus Oberschlesien kommen meine Großeltern, Rudolf Poser und Martha Unger. Sie lebten in Groß- und Klein Schnellendorf, 45 Kilometer südwestlich von Oppeln und 15 Kilometer von der Grenze zur tschechischen Republik entfernt. Diese winzigen Orte will ich mir anschauen.

Großeltern1Ich weiß ja nichts darüber. Vielleicht wohnte Martha in Groß Schnellendorf und Rudi in Klein Schnellendorf, und bei einem Fest lernten sie sich kennen, und das mag um 1915 gewesen sein, als sie 20 Jahre alt waren. Sie verliebten sich ineinander und gingen weg vom Dorf, in die Stadt, nach Kattowitz, wo es Arbeit gab. Rudi fand etwas bei der Schlesischen Eisenbahn. Warum sie dann 1922, als sie Ende zwanzig waren und die Einwohner Ostschlesiens die Wahl hatten, ob sie bleiben oder gehen wollten, weggingen, weiß ich nicht. Sie erhofften sich in Deutschland ein besseres Leben wie andere auch, die vom Balkan oder aus Afrika in unser Land wollen. Man quartierte sie in Neuburg an der Donau, ein, dann schickte man sie nach Lindau am Bodensee, wo 1927 mein Vater geboren wurde. Er, Manfred, gelangte nach dem Krieg nach Landsberg am Lech, lernte Frieda kennen, und die beiden zogen … in die Stadt, nach München, und da wären wir. Hab ich ja schon mal erzählt, vor sechs Jahren.

Przydroże Wielkie heißt heute Groß Schnellendorf, und die Kleinausgabe heißt Przydroże Male. Da will ich hin, aber auch nach Tschenstochau mit der Schwarzen Madonna, nach Auschwitz, Kattowitz, außerdem Glogau, Breslau und Ratibor, vielleicht auch nach Posen. Die schlesischen Dichter interessieren mich, deren beste allerdings im fernen 17. Jahrhundert aktiv waren. Martin Opitz (1597-1639) wurde in Bunzlau geboren, studierte und arbeitete in Heidelberg, Leiden und Danzig, wo die Pest ihn dahinraffte. Er verfasste berühmt gewordene Gedichte und das Buch der Deutschen Poeterey, das im Gutenberg-Projekt zu lesen ist, was aber Mühe macht, da das Deutsch des 17. Jahrhunderts noch ungeschlacht klingt. In dem Buch ist er, Opitz, verärgert darüber,

wie gar vnverstendig die jenigen handeln / welche aus der Poeterey nicht weiß ich was für ein geringes wesen machen / vnd wo nicht gar verwerffen / doch nicht sonderlich achten; auch wol vorgeben / man wisse einen Poeten in offentlichen ämptern wenig oder nichts zue gebrauchen; weil er sich in dieser angenemen thorheit vnd ruhigen wollust so verteuffe / das er die andern künste vnd wissenschafften / von welchen man rechten nutz vnd ehren schöpfen kan / gemeinigleich hindan setze. Ja wenn sie einen gar verächtlich halten wollen / so nennen sie jhn einen Poeten.

Ein Poet in öffentlichen Ämtern, unmöglich, sagen manche. Poet ist ein Schimpfwort. Die drei anderen schlesischen Autoren, die mir am Herzen liegen, zeigen aufs Beste, wie falsch das Vorurteil ist, ein Poet tauge nichts in öffentlichen Ämtern. Angelus Silesius aus Breslau (1624-1677) studierte in Straßburg, Leiden und Padua und war eine Weile Hofmarschall des Fürstbischofs. Silesius heißt »aus Schlesien«, und er schrieb großartige Epigramme, die heute noch etwas gelten. 1653 war er Katholik geworden, und Silesius gab sich seinem Glauben hin. Der studierte Arzt arbeitete später im Matthiasstift in Breslau, verschenkte sein Vermögen an Arme und behandelte sie unentgeltlich.

Andreas Gryphius aus Glogau (1616-1664) war von 1650 bis zu seinem Tod Syndikus der Landstände seiner Stadt, musste also deren Interessen gegen die Habsburger durchsetzen. Gryphius‘ Gedichte, oft der Vergänglichkeit gewidmet, kann man heute noch gut lesen. Und als dritten nennen wir einen Spätling, Joseph von Eichendorff (1788-1857), dessen Gedichte mit Mondschein, Liebesleid und Wandersehnsucht zu den unvergänglichen Werken der deutschen Literatur zählen. Er war in Diensten der preußischen Regierung und bekleidete in 25 Jahren hohe Ämter und war zielbewusst und tatkräftig – ein Poet. Darum muss ich nach Ratibor, um zu sehen, ob die Wälder, von denen Eichendorff schrieb, da noch immer rauschen.

 

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