Der Lebensfunke

Schon eigenartig: Als ich aus Auschwitz zurückgekommen war und darüber schrieb, fand ich in einem Regal das Buch Der Funke Leben von Erich Maria Remarque (1898-1970), dessen Schauplatz ein Konzentrationslager ist. Das Buch wurde mir wohl in die Hände gespielt; ich sollte es lesen.

DSCN2359Es ist mutmaßlich der einzige Roman über ein Konzentrationslager der Nazis. Er lässt nichts aus. Die Adjektive, die man da gern benutzt, sind alle verbraucht: beklemmend, bedrückend, schonungslos. Der Roman ist so gnadenlos, wie die Nazi-Wachmannschaften in den Lagern es waren, und sie waren mehr: sadistisch, pervers, geil auf Gewalt, unmenschlich. Was den Juden angedichtet wurde – keine Menschen zu sein −, das trifft auf ihre erbitterten Feinde zu: Sie waren Unmenschen.

Das ist schwer zu lesen, weil so grausam. Doch wer nichts davon weiß, sollte sich hindurchkämpfen. 400 Seiten. Der Protagonist wird nicht anders genannt als 509. Am Ende steht die Befreiung, das glückliche Ende ist aber eingetrübt. Der Funke Leben ist ein von der ersten bis zur letzten Seite überzeugender Roman. Weil Deutschland von diesen Exzessen – auch das ist ein zu schwaches Wort −, von Mordlust und perfekt verwalteter Menschenvernichtung nichts wissen wollte, fand Remarques Werk nur mit Mühe einen Verleger.

DSCN4111Man muss verzeichnen, dass damals der Spiegel und die Zeit über den Autor herfielen und ihn verunglimpften. Journalisten sind oft Mitläufer. Erich Maria Remarque schrieb fünf Jahre an dem Roman, von 1946 bis 1951. Er meinte, eine Verantwortung dafür zu haben, die Greuel aufzuzeichnen. Denn wie man vor dem Genozid nicht glauben konnte, was dann geschah, war man hinterher bereit, das Berichtete als übertrieben abzutun. Dabei kann man da nichts mehr übertreiben. Und Remarque kann man nicht dankbar genug sein.

DSCN2234Der Führer habe die Endlösung der Judenfrage befohlen, hieß es am 20. Januar 1942 in der Wannsee-Konferenz. Und weil ein Befehl in Deutschland heilig ist, ging man daran, ihn so gut wie möglich »durchzuführen« Noch weniger denkbar als der Plan, ein paar Millionen Menschen zu vergasen und zu kremieren, war wohl der Gedanke, sich gegen den »Größten Feldherrn aller Zeiten« aufzulehnen. Das war tabu.

Und die unteren Chargen machten mit. Oft waren es Rohlinge, primitive Menschen, Zukurzgekommene, die ihren Frust tausend Mal stärker an armen Wesen abreagierten, weil es plötzlich möglich war. Lassen wir um Schluss Erich Maria Remarque in seinem Roman zu Wort kommen. Plötzlich ahnen die willenlosen Opfer, dass alles ein Ende finden könnte.

Ein Weltfrevel war verübt worden und fast geglückt, die Gebote der Menschlichkeit waren umgestoßen und fast zertrampelt worden; das Gesetz des Lebens war bespuckt, zerpeitscht und zerschossen worden; Raub war legal, Mord verdienstvoll, Terror Gesetz geworden – und jetzt, plötzlich, in diesem atemlosen Augenblick, fühlten vierhundert Opfer der Willkür hier, dass es genug war, dass eine Stimme gesprochen hatte und dass das Pendel zurückschwang. Sie spürten, dass es nicht nur Länder und Völker waren, die gerettet werden würden; es waren die Gebote des Lebens selbst. Es war das, wofür es viele Namen gab – und einer, der älteste und einfachste war: Gott. Und das hieß: Mensch.

Bis dann die Amerikaner das Lager befreien, dauert es noch zwei Monate, 60 Tage mit hunderten weiteren Toten in dem Lager des Romans, mit Verhungerten und Erschossenen. Viele überlebten dennoch, auch nach Jahren dort. In ihnen war dieser geheimnisvolle Lebensfunke, der auch in düstersten Jahren noch glimmt, auch angesichts der deutschen Menschen, die cholerisch und planmäßig zugleich wüteten … Mit einem Witz auf den Lippen jagten sie einem zitternden Fast-Skelett eine Kugel in den Nacken und befahlen anderen, ihn fortzuschaffen und zu verbrennen.

Drei Jahre dauerte der Wahnsinn mit den Vernichtungslagern. Es reichte, dass durch deutsche Gründlichkeit Filialen der Hölle auf Erden errichtet werden konnten, wie es sie niemals in der Menschheitsgeschichte gegeben hatte. Auch 75 Jahre nach der Befreiung muss das Entsetzen darüber groß sein.

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