Die Tochter des Serienmörders

Vergangenen Sonntag sah ich einen Teil von Polizeiruf 110. Dunkler Zwilling hieß der 20. Fall der Ermittler Sascha Buckow (Charly Hübner) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau), deren Treiben ich gern mitverfolge. Es ging um den Mord an sieben Frauen, gesucht war also ein Serienmörder, den deutsche Drehbuchautoren besonders lieben. Man kann sich fragen: Geht’s noch krasser? Es ging so, aber manches ging nicht gut.

Zwei Verdächtige wurden eingeführt, nach einer Stunde wusste man schon, wer wegfiel und wer es gewesen sein könnte. Es gibt in solchen Filmen ja kaum Überraschungen. Das wird alles nach dem gewohnten Strickmuster inszeniert. Die Verdächtigen waren halt die üblichen Verdächtigen: ein arroganter unsympathischer Zwielichtiger und ein unscheinbarer vermeintlich sauberer Geschäftsmann. Das sind Schurken, die einen langweilen. Rumgequatsche, Rumgeplänkel, die Tochter des Verdächtigen wird ins Zentrum gerückt.

Dann gibt’s ein Showdown. Wie die Tochter den Keller des Vaters mit allen Beweisen erforscht, das hat man schon mal gesehen. Der Vater ertappt sie und hofft, sie würde ihn nicht verpfeifen. Sie schickt ihm ein Foto und will sich umbringen. Der Kommissar rettet sie. Da möchte man vehement Protest einlegen. Es ist unmoralisch, den Selbsttötungsversuch des jungen Mädchens zu zeigen. Junge Menschen sind oft in der Krise und lassen sich davon eventuell anstecken. Zeitungen sind heutzutage vorsichtig und berichten nur verhalten über Selbstmorde, weil sie zur Nachahmung anregen. Gibt es im deutschen Fernsehen niemanden, der über genügend Feingefühl verfügte und sagte: Stop! So können wir das nicht machen!

Zur besten Sendezeit wird gezeigt, wie sie sich ins Wasser legt und sich die Pulsadern öffnet. Der Kommissar trägt sie auf starken Armen hinaus. Könnte zu dem Gedanken verführen, dass ich schon gerettet werde. Zudem wurde diese Szene eingespielt, weil es am Ende eben dramatisch werden muss. Doch damit kann man sich große Schuld aufladen. Ich weiß nicht, wie Goethe damit zurechtgekommen ist, dass sich nach seinem Buch Die Leiden des jungen Werther sehr viele junge Menschen nach diesem Muster umbrachten. Hätte er das Buch nicht geschrieben, würden sie noch leben (jetzt nicht mehr, das Buch erschien 1794).

Wie viele töteten sich nach dem Unfalltod von James Dean, nach dem frühen Tod von Marilyn Monroe, nach dem Tod von Robert Enke auf den Schienen der deutschen Bahn! Hochgefährlich ist es, so etwas zu zeigen. Man fasst sich an den Kopf. Was immer man mit so einem Film will, und wenn es nur Unterhaltung für eineinhalb Stunden ist — es ist nichtig, wenn dadurch (auch unwillentlich) jemand zu Schaden kommt. Aber ich weiß nicht, wie man den Verantwortlichen das klarmachen kann.

Und diese ekligen Serienmorde, die der Krimi verehrt: Das bleibt rätselhaft. Wie oft liest man schon auf dem Einband eines Krimis die Zeilen: »Das Bild, das sich ihr darbot, war schrecklich. Der Mörder hatte …« In Rostock hatte er die Frauen aufgeschlitzt und ihr Organe entfernt. Ich weiß gar nicht, ob das später irgendwie motiviert wurde. Je ekliger, desto besser. DIese Ekel-Lust hat vielleicht mit dem Wohlstand zu tun: Man sitzt gemütlich in seiner Wohnlandschaft und lässt den Schrecken an sich abperlen, man ist ja in Sicherheit, es ist ein schön-schauriges Gefühl. Aber Angst ist da, deshalb verstecken sich die Leute heute in bulligen Fahrzeugen und halten sich vom Leben fern. Das Fürchterliche im Krimi heraufzubeschwören, halte ich für geschmacklos und gefährlich.

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