Vom Verschwinden der DDR (8): Der 9. November 1989

Sie zogen sich an und rannten aus dem Haus, wenn sie in Berlin lebten, riefen aber erst Freunde und Nachbarn an, und los zur Mauer. Die Pressekonferenz der DDR-Führung war live übertragen worden, und wie ein Lauffeuer sprach sich herum, dass sie geöffnet war. Es war der Abend des 9. November 1989, und irgendwie hatte sich die SED das anders vorgestellt, aber: Geschichte war gemacht worden. Die DDR war dann bald nur mehr Geschichte. 

Es ist schon oft erzählt worden, und ich las es noch einmal nach; und wie Wikipedia es darstellt, klingt es glaubhaft. Einiges ist hervorzuheben, einiges sollte man sich merken. Günter Schabowski war erst den dritten Tag ZK-Sekretär für Informationsfragen. Bei seinem zweiten Einsatz schon musste er vor die internationale Presse. Die interne Diskussion über den Modus operandi der Grenzöffnung hatte er versäumt, weil er mit Journalisten oder Bauarbeitern diskutiert hatte. Und Egon Krenz hatte ihm nichts von der Sperrfrist 10. November 4 Uhr morgens gesagt. (Und Krenz hatte wohl das Papier auch nicht genau studiert.) Dann erst sollte die Öffnung erfolgen. Und es kam die entscheidende Frage eines Journalisten: Ab wann die Regelung gelte? Und Schabowski kramte in seinen Unterlagen herum und sagte: »Meines Wissens … ab jetzt.« Gibt es sicher auf youtube zu sehen.

Nicht dass die Öffnung ein paar Stunden später einen großen Unterschied gemacht hätte. So aber bekam man das Gefühl, das Volk habe die Mauer selber weggezwungen, ist ja auch schön. Am nächsten Morgen wäre Kontrolle dagewesen, und nicht zu knapp. Also eine Verkettung von merkwürdigen Umständen. Manchmal hat man ja das Gefühl, dass Projekte ein Eigenleben habe. Die einen laufen rund und gut, bei anderen ist der Wurm drin und es geht schief, was schiefgehen kann. Es ist wie verhext.

Lasst uns dabei jedoch nicht vergessen, dass das Faktische das ist, was aus einem Meer von Möglichkeiten hochsteigt und sich herauskristallisiert. Geschichte ist das, hat Toynbee einmal gesagt, was übrigbleibt von dem, was auch hätte geschehen können. Da haben wir wieder die Zukunftsoffenheit. Situationen spitzen sich zu und stehen auf der Kippe, und dann entscheidet eine Winzigkeit darüber, in welcher Richtung es weitergeht. Das ist auch gemeint, wenn man sagt, dass Psi bei Zufallsereignissen wirkt. Alles zittert sozusagen in Erwartung, und dann kann Telepathie eingreifen. Woher kommt der entscheidende Gedanke?

Das Schwierige ist es, das Leben zu lesen. Das Tao zu erkennen: den Weg. Das Gebotene tun, ohne sich querzulegen; ihm keinen Widerstand entgegensetzen, spontan sein und dennoch das Ganze im Blick behalten. Das Leben ist unerschöpflich, aber verrückt muss man sich auch nicht machen lassen. Wir alle bringen uns ein, so gut wir können, sind auch fehlbar, doch es ist gut, dass wir da sind. Wir bringen Farbe ins Leben. Ein dummer Fehler hat auch seinen Charme und lässt sich erklären — und dann wieder vergessen. Am Ende wird, wenn wir uns Mühe gegeben haben, unser Weg der unsrige gewesen sein. Nicht vergessen dürfen wir, dass dieses Leben nicht alles ist. Hinterher sind wir schlauer. Wir sind ja alle unterwegs zu einer Vollendung, die wir uns nicht vorstellen können.

 

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