Die Belagerung der Via Appia antica

Da wir schon beim Bauwesen (oder –unwesen) sind: Die Via Appia antica, die seit 2300 Jahren in südöstlicher Richtung aus Rom hinausführt und sie mit Brindisi an der Adria verband, wird seit Jahrzehnten belagert. Unverfrorene Neureiche stellten und stellen Anwesen in die Landschaft und rechnen damit, dass schon alles gutgehen wird. Merkt vielleicht keiner. Und wenn’s einer merkt, genügt vielleicht eine Spende an eine wohltätige Organisation.

Die Appia antica war die »regina viarum«, die Königin der Straßen. Diese erste Konsularstraße wurde exakt im Jahr 312 vor Christi Geburt durch den Regenten Appio Claudio Cieco eröffnet, den »Blinden«. Unglaublich, genau 2300 Jahre waren es dieses Jahr! Hat das irgend jemand gefeiert? Wohl nicht, Italien hat andere Probleme, aber Italien hat immer andere Probleme, wenn es um die Natur geht, die  für die Erholung der arbeitenden Bevölkerung so wichtig wäre. Aber gut, die römische Bevölkerung erholt sich anders, nicht auf Wanderungen durch die Appia.

 

Goethe hat sich in dieser damals verwilderten Landschaft etwa 1786 von Tischbein malen lassen, und Ferdinand Gregorovius hielt die Gegend um die Straße für wunderbares Reitergeläuf. (Heute sind da Mountainbiker unterwegs.) Der römische Dichter Horaz (»Carpe diem«) ist auf der Via Appia antica nach Brindisi gereist; dazu brauchte man einige Tage und konnte in »Mansiones« übernachten.

Am Anfang der Straße soll Petrus beim Verlassen der Stadt auf Jesus getroffen sein und ihn gefragt haben: »Quo vadis, domine?« Herr, wohin gehst du? Jesus, der Pädagoge, meinte, er gehe nach Rom, um sich ein zweites Mal kreuzigen zu lassen. Das beschämte Petrus, der fliehen hatte wollen; er kehrte um und ging seinem Tod entgegen. Unweit von dem Kirchlein, wo sich das zutrug, stehen das Grabmal der Cecilia Metella und die Kirche des heiligen Sebastian mit ihren Katakomben.  

Ich fand vorgestern eine Recherche von Francesco Erbani in der Zeitung La Repubblica, und da wird beklagt, dass Schwarzbauten (»abusivo« ist ein wichtiges Wort in Italien: zweckentfremdet, illegal; Substantiv: abusivismo) seit Jahrzehnten hochwachsen und die Behörden machtlos sind. 1,35 Millionen Quadratmeter sollen illegal bebaut sein von 3500 Hektar. Gehört der Park der Caffarella auch dazu? Vermutlich, und nun  muss ich auch noch nachschlagen, wie groß ein Hektar ist: 10000 Quadratmeter. Also sind 4 Prozent bebaut. Diese Information hätte ich gern im Artikel gelesen. (Bild: ein verfallener Turm in der Nähe der alten Straße.)   

Schon in den 1960-er Jahren bauten sich Filmstars und Wirtschaftsbosse dicke Villen gleich neben die Via Appia antica und Mauern davor, und auch heute ist es die Filmbranche, die sich gern dort niederlässt. Da haben es diese arroganten Leute nicht weit in die Cinecittà, zehn Kilometer sind es. Schon in den 1950-er Jahren schlug Antonio Cederna Alarm, aber seither wurde immer weiter gebaut. Zuletzt gelang es der Soprintendenza archeologica, der archäologischen Dachverwaltung, im Jahr 2009, die Raupen anmarschieren und ein Gebäude niederreißen zu lassen. Alle nach 1967 erstellten Häuser sind illegal. Man müsste viele Bauten wegreißen.  (Bild: alte Grabanlage neben der Via Appia.) 

Der Regisseur und Schauspieler Roberto Benigni hat da ein Haus, dessen Restaurierung allerdings von der Soprintendenza überwacht und gutgeheißen wurde. Bravo! Rita Parisi heißt die arme Direktorin der Soprintendenza, die dem Kulturministerium regelmäßig die Verstöße meldet und keine Antwort erhält. Wenn sie etwas melden kann! Denn die Verwaltung hat kein Geld, kaum Personal und nicht einmal brauchbares Kartenmaterial. Der Besitzer einer Kette von Bekleidungsgeschäften hat einen riesigen Komplex errichtet, andere vermieten ihre Häuser für Hochzeiten und Filmparties, und dauernd gibt es Feuerwerke und viel Autoverkehr.  

Aus meinen Jahren in Rom erinnere ich mich auch an Flugblätter, Appelle und Aktionen, wenn ich die Appia befuhr. Es gibt Naturschützer in Rom, aller Ohnmacht zum Trotz. Auch dieses Jahr bin ich mit einem treuen Rad über die alten Steine geholpert, in die die Räder in zweitausend Jahren Rinnen eingeprägt haben, und dann lag ich auf einem Hügel und döste an der Sonne so vor mich hin. Ein Menschlein lebt vielleicht 80 Jahre, die Via Appia antica gibt es seit 2300 Jahren. Alle Schwarzbauten wird sie aushalten. Sie kommt drüber weg.  

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