Anthony Burgess spricht

Am Sonntag vor einer Woche hatte ich über Bernd Lafrenz’ Auftritt in Freiburg mit einem Shakespeare-Solo berichtet. Ich schickte meinen Beitrag dem Künstler, der hocherfreut war und ihn, wie er mitteilte, auch auf seine Facebook–Seite setzte. Das ehrt mich. Er habe mich wegen meiner Erwähnung von Burgess erkannt, schrieb Lafrenz; denn ich hatte ihm auf der Bühne noch die Shakespeare-Biografie des Engländers hingehalten. Darum noch ein kleiner Nachschlag zu Burgess.

Kurzbiografie: Anthony Burgess wurde 1917 in Manchester geboren. Mutter und Schwester starben schon 1918, sein Vater kümmerte sich nicht um ihn. Burgess studierte Literatur, unterrichtete Sprachen, ging für das Militär nach Gibraltar und Malaya. Dort fing er an zu schreiben. Als er 42 Jahre alt war, meinten Ärzte, er habe einen Gehirntumor und nur noch 12 Monate zu leben. Drei Jahre später, in London, stellte sich das als Irrtum heraus. Burgess schrieb sofort das Buch The Doctor is sick (Der Arzt ist krank), eines seiner 50 Bücher, die ihn reich machten. Er starb 1993 mit 76 Jahren an Lungenkrebs.  

Ich hatte der Lektüre des Wikipedia-Beitrags über ihn das Buch Beard’s Roman Women (1977) entdeckt und entlieh es mir. Und jetzt, bei nochmaliger Wikipedia-Lektüre, erkenne ich Elemente des Romans, des Rom-Romans, des Rom-ans. Ein Roman ist ein Roman; und trotzdem freut man sich, wenn man sieht, was aus dem Leben des Autors in ihn eingeflossen ist. Das Buch ist kurz, aber souverän und ironisch geschrieben? Und sarkastisch ist es auch.  

Die Frau des Drehbuchautors Roland Beard, Leonora, stirbt an einer Leberzirrhose (wie Burgess’ Frau Lynne 1968), und er landet in Rom, wo er sich in eine jüngere Italienerin verliebt (wie Burgess 1963 in Liliana Macellari, die er nach Lynnes Tod heiratete). Danach wird es schräg: Die Italienerin (Paola) reist als Fotografin an einen Kriegsschauplatz, ihr karibischer Ex-Mann räumt die Wohnung leer, und Beard wird zu allem Überfluss von vier nackten italienischen Feministinnen vergewaltigt.     

Anthony Burgess lässt nichts aus. Die Frau des Drehbuchautors ist gar nicht tot und verfolgt ihn telefonisch, er heiratet ihre jüngere Schwester und erfährt, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hat (autobiografisch!). Er überschreibt sein Geld seiner Frau und will standesgemäß vor der Tür von Paolas Wohnung sterben (sechs Stockwerke ohne Aufzug; bei mir waren’s fünf), die ihren »Ex« erneut geheiratet hat. Er rennt drei Mal hoch; aber was für ein Pech: Er lebt weiter. Was nun? Vielleicht schreiben, wie Burgess selbst. 

Häuser in Rom, meist ohne Aufzug

 

Shakespeare ist ein reifes Werk, da war Burgess 65 Jahre alt. Großartig, was er über die Leute in der Tudor-Zeit sagt, dieses walisische Geschlecht, das England von 1485 bis 1603 regierte. Sie hätten wie besessen geredet. Sprache diene dazu, im  Dunkeln den Kontakt aufrecht zu erhalten. Man redet. Gesprochene Sprache sei nicht exakt, werde begleitet von Grunzen und von Gesten, sei wie eine flackernde Kerze, desen Licht nur nicht erlöschen dürfe. »Erzählungen, Klatsch, Rätsel und Wortspiele helfen mit, uns die Zeit im Dunkeln zu vertreiben, und daraus − nicht aus dem Bedürfnis, Fakten wiederzugeben oder einen Fall zu konstruieren − entstand Literatur.«

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Die Illustration ist von Rolf Hannes.

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