Im Anfang: das Wort

Gestern war der zweite Sonntag nach Weihnachten. In den Kirchen wurde der berühmte Prolog des Johannes-Evangeliums verlesen: »Im Anfang war der Logos — das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.« Man könnte ein Buch über diesen Satz schreiben, aber manipogo macht es kürzer und versucht, ähnlich prägnant wie der Evangelist zu sein, der gern mit einem Adler verglichen wurde, der mit einem Augen in den Himmel, mit dem anderen auf die Erde blickt.

DSCN4086Die Bibel ist das Wort Gottes, und manche Glaubensrichtungen sind da streng: Kein Jota sollst du daran ändern. Gut. Aber ein Wort ist nicht nur ein Wort. Es bedeutet etwas und steht in einem Zusammenhang. Jede Übersetzung ist eine Annäherung; wir übersetzen, und schon haben wir, ohne es ändern zu können, Gottes Wort verdreht.

Das Neue Testament wurde auf Griechisch verfasst (das Alte auf Hebräisch). Die Übersetzung von Hamp/Stenzel/Kürzinger (1966 erschienen) und in der Einleitung zitiert, war mutig. Logos ist der griechische zentrale Begriff, den Luther als Wort übersetzt hat: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.« Auf Griechisch steht das so da:

ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν, καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος.

Die lateinische Vulgata, die über Jahrhunderte verwendet wurde, hat:

In principio erat Verbum,
et Verbum erat apud Deum,
et Deus erat Verbum.

DSCN2516Alles einfach: das Wort. Es werde Licht, sprach Er, und es ward Licht. Doch der Begriff Logos ist mehr, ist schillernd. Logos bezeichnet Rede, Lehrsatz, Lehre, Sinn, Beweis, Vernunft, aber auch Weisheit. Der Logos steht vor dem Wort, das ja Ausdruck eines Gedankens und des Geistes ist.  Johannes beschreibt das Wort als in Christus Fleisch geworden, und damit bahnte er den Weg für die Deutung des Messias als gottgleich, wie sie im Konzil von Nizäa festgeschrieben wurde. Dabei ist das Wort selbst schon eine Inkarnation (eines Gedankens). Logos als Sinn und Vernunft ist etwas wie Geist, der Gottes. der ja über den Wassern schwebte. Dieser Logos ist viel mehr als das Wort. Ich glaube, Heraklit mahnte einmal: Nicht auf mich, auf den Logos hören. Man solle den Inhalt seiner Sätze beachten, nicht den Autor mit seinen Fehlbarkeiten.

syn7Die jüdischen Kabbalisten hielten die Buchstaben für heilig; das beta als erster Buchstabe des ersten Worts der Genesis — bereshit — war am wichtigsten, dann kam das alpha. Das ist eine irgendwie materialistische Sichtweise, denn das Wort ist ja auch Klang, ist Schwingung und wirkt erst durch sie und nicht dadurch, dass es bloß dasteht. Ja, das Wort. Wir reden weiter, auch im Jahr 2020, und wir sollten uns eine Minute lang klarmachen, dass es heilig ist, aber auch, dass es (siehe Korzybski) nicht der Gedanke ist, sondern nur ein Ausdrucksmittel.

Nun noch die berühmte Stelle aus Goethes Faust, wo der Titelheld das »heilige Original« in sein »geliebtes Deutsch« übertragen möchte:

Geschrieben steht: »Im Anfang war das Wort
Hier stock‘ ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muss es anders übersetzen.
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin,
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Dass deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.
MIr hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!

Und so entstand der Tatmensch.

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.