Wer sind die Opfer?

Ein Artikel in einer gesonderten Ausgabe der Zeitung La Repubblica hatte groß das Bild des »Todesfahrers« von Bruneck unter der Überschrift und handelte wohl ab, was vor dem Massaker passiert war — im Leben des Killers, wie viele Medien bereitwillig das Leben eines Attentäters oder Massenmörders examinieren. Man will wissen, wie das geschehen konnte. Aber es ist gefährlich. 

wolkenEs ist geschmacklos und tritt die Würde der Opfer mit Füßen. Die Toten werrden abgebucht, tauchen mit ihren Initialen, Wohnort und Alter in den Medien auf und dann gleich wieder ab. Und so könnte sich in verwirrten Hirnen der Gedanke festsetzen, dass, wenn ich etwas Böses und Unglaubliches anrichte, man sich endlich um mich kümmert. Ich bin dann wichtig. Man weiß nicht, wie oft schon solch ein Gedanke zum Auslöser für eine Untat wurde! Die ganze Vorbereitung für ein großes Attentat ist ohnehin schon irre, dass man sich nicht wundern muss, wenn jemand Verblendeter meint, damit würde er unsterblich. Er geht manchmal unter und stirbt — und vergisst, dass er von seinem »Nachruhm« ja nichts hat. Das alles geht in den Pathos des bevorstehenden Untergangs ein.

thumbnailCAPBOC85Die Medien sind gefährlich. Wir glauben nicht mehr, dass ein Gott uns zuschaut, wir finden wenig Beachtung, also suchen wir uns in den Lichtkegel der Öffentlichkeit zu stellen. Posts auf Facebook geben dem Ego Futter, die Reaktionen darauf noch mehr, aber manche Verrückte wollen den letzten Kick. Warum das und wie etwas kam, das wollen die Medien durchleuchten, und ohne den Täter ist die Tat nicht erklärbar. Unsere Medienwelt dreht sich um Handelnde und Showstars. Auf die Helden und Sieger richten sich die Kameras. Wer stirbt, hat verloren und Pech gehabt. Wer verliert, wird vergessen.

Ich finde, man sollte bei Berichten über Killer ebenso vorsichtig sein wie bei Berichten über Selbstmorde, wo sich endlich Zurückhaltung durchgesetzt hat, weil man weiß, dass labile Menschen dem Muster folgen. Sie wählen sogar Todesarten, über die berichtet wurde. Ach, früher litt man im Verborgenen oder machte sich Fantasien, heute jedoch leben sich die Irren aus und ziehen ihr Ding durch. Man tut etwas, weil alle irgendetwas tun. Das Tun wird zur raison d’être. Dabei sind es nicht echte Irre (die Geisteskranken sind sanft und völlig weggekehrt von der Welt), sondern die Frustrierten, die, während sie artig mit uns plaudern, dies aus einer düsteren Kulisse heraus tun.

033Warum kann man nicht die Opfer hervorheben und schildern, was das für Menschen waren, was sie für Träume hatten, in welchem Umkreis sie lebten, was sie geplant hatten? Jeder von uns kann Opfer werden, wenn er oder sie sich unversehens zur falschen Zeit an einem Ort befindet. Über die Opfer zu sprechen, die Benachteiligten und Unglücklichen, würde eine neue Perspektive geben, und der falsche Held hätte ausgespielt.

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