Fünf Sekunden / Gedichte 2

Fünf Sekunden ist toll, da lief’s mir selber kalt über den Rücken vor Rührung, als ich das nach vielen Jahren wieder las. Nehmen wir noch Mister Right und Last Orders hinzu, die auf wahren Geschichten basieren. Paranormale Episoden haben eine starke poetische Qualität und sind wie Märchen, von denen sie unterscheidet, dass sie wahr sind, meine ich.

Fünf Sekunden

Es war bei einer jener Feste, die neuerdings
›Housewarming-Party‹ heißen, und es war Ende Mai.
Da stehn und sitzen dreißig Leute auf der Terrasse, die rings
um die komfortable Dachwohnung sich zieht, und längst vorbei
sind die Maschinen, die Richtung Osten fliegen, zu den Emiraten,
und bald hebt ab vom Horizont im Norden, Zürich-Kloten
um fünf vor zehn das letzte Flugzeug, in die Staaten.
Nächtliche Flüge sind verboten.

Es sind ja vielleicht vierzig Leute, wir sehen allerdings nur zwei.
Roccos Blicke fliegen stets zu Romy, er kann’s nicht vermeiden.
Sie schaut woanders hin, und wenn er wegschaut, ist sie wieder frei –
Um gleich drauf wieder ihn zu suchen; ach, sie kann’s nicht leiden,
das Spiel; doch nichts zu machen. Nun bewegt sie sich
in seine Richtung; auch er geht los, es ist wie Choreografie,
Rocco und Romy stehn sich endlich nahe, und sie mustern sich.
Hi, ich hab dich zuerst gesehn, nein ich doch dich, ich weiß nicht wie
das kommt (Sie kennen sich von früher), na ja, und nun bin ich hier,
wie schön, ich dachte, dass du lebst in Portugal,
ach, war einmal; sie stehn so an der Brüstung wie an einer Pier
und schauen auf die Straße, dass wir jetzt hier sind, ach, egal,
Sie lehnt sich etwas an ihn, um sie herum wird alles still.

Sie sehn sich ratlos an, und beide beben innerlich.
Er stellt sein Glas weg, legt den Arm um sie und meint: Ich will
Und weiß nicht was ich will … Grad unerklärlich.
Dann fern von ihnen kommt ein Zischen, dann ein lautes Dröhnen,
das letzte Flugzeug naht, wird groß, gibt ihnen einen Stich,
sie spielt die Ängstliche und sinkt mit leisem Stöhnen
an seine Brust, der Lärm ist ungeheuer, und sie küssen sich.

Nur fünf Sekunden. Es wird schwarz, es öffnet sich gleich ein Tunnel     
Und alles dreht sich, wer ist wo? Ein Schweben.
Der Tunnel öffnet sich, dann wird es hell.
Ein Strand. Sie gehen im Sand und wissen: Das ist unser Leben.
Er hat eine Verhandlung, Rocco, in New Jersey, denn er ist in der Kanzlei
Von Burroughs, Lynch und Hemmings, seit nunmehr acht Jahren,
die Kinder sind bei Romys Eltern, sie sind frei
am Meer, sie werden wohl noch mit dem Boot zur Insel fahren. 
Dann Frühstücke im kleinen Landhaus, die und jene Reise,
die Kinder wachsen, werden groß, nach weiter’n Zeiten
besuchen sie die Universität, Rocco tut weniger, wird richtig weise,
Romy jedoch dreht auf, will nun ein Bed and Breakfast leiten.,

Die Kinder Marsha und Johanna gehen nach Florida,
das dürfen sie, und man besucht sie öfter da.
Die Alten haben in die Rente eingezahlt, und einmal schauen sie sich innig an:
Bei Roccos Siebzigsten: weißt du, der Kuss in Zürich, so fing es doch an!
In Boca Raton stehn sie, und ein Flugzeug von der Swiss fliegt ab
Nach Zürich, es ist laut, sie finden zueinander und sie küssen sich
Nur fünf Sekunden, und der Lärm ist fürchterlich.

Dann trennen sich zwei Münder, wow, was war das jetzt?
Zwei Augenpaare sehn sich an, entsetzt.
Dann Romy: Mach es gut, du weißt, ich bin verlobt
Die Heirat ist Anfang September, und ich hab gelobt,
vor Mitternacht zuhaus zu sein. Ich lad dich vielleicht ein und seh dich dann.
Und Rocco: Alles Gute, kann wohl sein, mach’s gut und ja – bis irgendwann. 

Ψ Ψ Ψ

Mister Right

Lauras Mann Dave litt unter schweren Depressionen.
Nahm sich das Leben. Es gibt Verzweiflung ohne Hoffnung: Dunkelheit,
kein Streifen Licht, die Schmerzen von Äonen.
Kein Ehepartner kann da helfen und kein Arzt. Der Tod befreit.

Ist aber auch endgültig. Ach, warum? Und Laura fuhr zum See.
Es war an Daves Geburtstag, sieben Monate danach.  Sie dachte lange,
als sie im Auto saß, an ihn; es tat ihr weh.
Da streichelt eine Hand, unsichtbar, ihre Wange,
wie Dave es hatte oft getan. Sie spürte es an ihrem Arm,
rechts, wo sonst Dave saß; und die Berührung da hinunter lief.
Die Härchen standen auf. Und Laura weinte, bat Dave warm,
er solle auch zur Tochter Janie auf Hawaii. Sie müsse jetzt zu Steve,
dem neuen Freund, der sie erwarte. Komm mit mir!
Die Antwort kam im Innern: Nein, ich geh zu Janie, lebe weiter.
Am nächsten Tag rief Janie an. Dave war bei ihr,
um ihr zu sagen, was er Laura sagte: Lebe ruhig weiter.

Als Dave noch lebte, bat er Steve, den Freund, für Laura da zu sein.
Es wurde eine Liebe. Dave war anscheinend ganz dafür.
Das Licht im Carport flammte immer auf, ein heller Schein,
wenn sie von Steve kam, in die Garage fuhr, und sich schloss die Tür.
Das war ein Muster. Kein Licht kam, wenn sie war im Supermarkt.
Einmal fuhr sie weg mit Steve, zu seiner Ex, einem Disput.
Kein Licht. Sie kam zurück – und wieder Licht, kaum hatte sie geparkt.
Sie sagte: Oh my God! Dave will mir helfen. Das ist gut.
Und immer, wenn sie fürchtete, Steve nicht wiederzusehen,
strahlte im Carport ihr das Licht: Das ist okay!
Er mag dich. Kein Problem, die Krise wird vorübergehen.
Ich bin bei dir, Steve ist dein neuer Mann, wie ich das seh’.

Ψ Ψ Ψ

Last Orders

Geschichten über Geister sind ja kaum zu zählen,
und nicht erfund’ne, sondern wahre: belegt und dokumentiert in Briefen,
in Befragungen. Sie steh’n in Büchern und in den Archiven.
Man braucht nur eine auszuwählen.

Vor mir liegt ein kopiertes Blatt
Aus einer Ausgabe der »Fortean Times«, vor fünfzehn Jahren im August.
In der Rubrik der »Letters« stand ein Brief, »Last Orders«, und er machte Lust,
hier zu erzählen, was Herr Norman Green gesehen hat.

Nach Ostern. Norman Green und seine Frau sind fortgefahren
Ins Seebad Blackpool, wo sie lange nicht mehr waren.
Sie haben eine Wohnung dort gemietet an der See
Fürs lange Wochenende. Freitag nachmittag. Sie trinken Tee,

dann essen sie zu Abend; sie ist müde und zieht sich zurück.
Und Norman nutzt die Chance, geht aus, dorthin, wo vormals eine Brück’,
und heute der »Old Bridge Inn« steht, und stellt sich an die Bar.
Bestellt sich ein Glas Boddington, und: alles klar.

Ein Mann am andern Ende dieser Theke mustert ihn.
Dann kommt er her. »Entschuldigung, ich hab Sie angestarrt.
Sie kommen mir bekannt vor, ist sonst nicht meine Art.
Sind Sie denn aus South Yorkshire?« – »Ja«, sagt Norman Green,

»Bin dort geboren, aber nun im Norden, seit fast zwanzig Jahren.«
»Du heißt nicht Norman, ganz zufällig?« – »Wirklich heiß ich so.«
»Und ich bin Jimmy Marriott. Also stimmt es, ach, da bin ich froh.«
Natürlich, Jimmy! Drei Jahre älter, Chef der Gang, als wir noch Kinder waren.

In einem Teil von Barnsley, Goldthorpe, war ein kleines Kaff,
in Barnsley leben noch zwei Brüder und eine Schwester von
unserem Norman, und er holt zwei weit’re Gläser Boddington.
Das gibt es selten, so ein Zufall, beide sind sie baff.   

Jimmy spricht von Normans Schwester, in die er mal verschossen war.
Der Landlord läutet, die »Last Orders«, will noch jemand was bestellen?
Und Norman sagt, er fänd es schön, ihm seine Frau auch vorzustellen.
»Was meinst du, morgen Abend?« Und sie sagen sich Good night, da an der Bar.

Nur fehlte Jimmy Samstag abend um halb neun im Inn.
Der Landlord, auf ihn angesprochen, erinnerte sich nicht an ihn.
Norman und seine Frau, sie trinken, warten, und nach einer Stunde,
verlassen sie den Pub und drehen in der Stadt noch eine Runde.

Zu Hause wieder dann am Montag, rief die Schwester an,
das tat sie regelmäßig, mit den Neuigkeiten aus dem Ort, und dann
erwähnte Norman: »Du glaubst ja nicht, mit wem ich war beim Bier!
Mit Jimmy Marriott! Und er sprach wie ein Verliebter mir von dir!«

Die Schwester schwieg. Und meinte: »Spar dir deinen Spaß.
Ich finde das geschmacklos, und ich sag dir was:
Der Jimmy ist seit Freitag abend tot, es war halb sieben,
ein Autounfall außerhalb von Barnsley, wen will der noch lieben?« 

 

 

 

 

 

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