Fano / Gedichte 4

Es gibt noch einen Nachzügler. Fano ist nicht übel, und die anderen beiden Geschichten habe ich schon in Prosa erzählt auf manipogo. Egal, die kann man immer wieder hören. Manche Leute rümpfen über Reime die Nase, aber die sollen nicht so hochnäsig tun. Könnten sie wenigstens anständige, solide Prosa schreiben! Schon daran scheitern die meisten. Es hat mich sehr gefreut, dass meine Gedichte im Februar bislang viele Leserinnen und Leser hatten, um die 4400. Ich sollte weiterdichten!

Fano

Falconara heißt der Flughafen da links. Und Felder sind
dort rechts. Der Zug nimmt Fahrt auf, ahnt sein Ziel,
jagt durch zwei Dörfer, vorne wird’s schon blau. Im Wind
vom Meer flattert das Haar. Marittima. Fehlt nicht mehr viel
bis Fano, Halt des Zugs aus Rom. Es wird nun umgestiegen
nach Mailand, nach Bologna, nach Ancona, doch nicht alle
tun das, ein Menschenstrom verlässt den Zug, geht über Stiegen
unter Gleisen durch in Fanos Bahnhofshalle.

Via Litoranea, wo jenseits schimmert schon das Meer
Im hellen Nachmittag. Der Himmel klar darüber. Gischt
Umspült die Schwimmer. Wolken da im Süden, wo kommen die denn her?
Und Wind tritt auf, es wird gleich dunkel und der Tag erlischt.
Es fallen Tropfen, blitzschnell sind die Wolken hier
Die Böen peitschen Regen schon über den Strand
Die Schwimmer kehren heim, hüll’n sich in Tücher, leer wird auch die Pier
In Schlappen laufen sie vom Wasser weg über den Sand.

Die meisten wohnen in Apartments, deren Fenster noch sind auf.
Ein Zug von Menschen mit viel Taschen, Kleidern, Decken
Verströmt sich in die Gassen, oft in schnellem Lauf.
Das Meer ist nun ein graues, wild bewegtes Becken.
Die Straßen feucht, und Palmen schaukeln hin und her.
Der Zug nach Mailand fährt nach Norden fort.
Und auch die Autos fahren – Stoßverkehr.
Dann ist die Promenade leer und leer ist auch der Ort.

Die Jeans klebt auf der feuchten, sandbestreuten Haut.
Die Körper sind noch heiß und strahlen Wärme aus.
Der Fernseher wird eingeschaltet, es wird laut.
Man kocht Kaffee. Der Strandtag fing schön an, nun ist er aus.
Man schaut sich an, man mustert eine Wand.
Die Zimmer sind nun kühl, ein Windstoß wirft den Fensterladen zu.
Los, in die Bar! – Schau, überall am Boden liegt der Sand!
Ich schau jetzt fern, lass mich in Ruh!

Andiamo, gehn wir in die Bar!
Zwei sehen übern Tisch sich an,
verstohlen, stehen auf. Es reicht das Paar
die Hände sich und geht nach nebenan.

Ψ Ψ Ψ

Die Schachpartie

Das Leben nach dem Tod: Ob es wohl zu beweisen ist?
Man bräuchte einen Test, der Aufsehen erregt. Doch wie?
Fragte sich Wolfgang Eisenbeiss, ein Börsenmann und Spiritist.
Er liebte Schach und dachte sich: Vielleicht mit einer Schachpartie.

Nicht zwischen Ost und West, doch zwischen diesem und dem andren Reich.
Wer drüben würde sich mit einem Gegner, lebend, messen?
Ein Medium, Monsieur Rolland, hatte Kontakte, nutzte sie sogleich.
Verhandelte. Wo war der Großmeister, der tot war und vergessen?

Nach Monaten gab’s einen ersten Interessenten:
Den Ungarn Géza von Maroczy, tot seit über dreißig Jahren.
Und es gab einen lebenden, sehr starken Kontrahenten:
Den Russen Viktor Kortschnoj. Beide sich ebenbürtig waren.

Géza musste erst beweisen, dass er wirklich Géza war.
Er ließ das Medium zwanzig Seiten schreiben
Mit Einzelheiten seines früheren Lebens, und ein anderer Ungar
Überprüfte sie genau. Ja, Géza. Konnte kein Zweifel bleiben.

Und neunzehn-vierundachtzig kam’s zum ersten Zug.
Géza eröffnete, er hatte weiß. Denn weiß ist stets der Geist.
Kortschnoj erwiderte. Das Medium schickte seinen Zug
Nach drüben. Und weiter, hin, zurück, wie die genaue Notation beweist.

Die neunundvierzig Züge sind dort genau nachzulesen.
Das Schachspiel dauerte fast sieben Jahre. Sieben Züge jedes Jahr.
Im Jenseits gibt es keine Zeit. Was war, ist schon gewesen.
Und Kortschnoj: unter Druck. »Dass ich hier siege, ist nicht klar.«

Experten sahen hin, erkannten von Maroczys Stil.
Es wurde angegriffen, gut getauscht, geschlagen.
Das Medium Rolland verstand vom Schach nicht viel.
Es war ein harter Fight, das muss man sagen.

Neunzehnhunderteinundneunzig endete die Schachpartie.
Es siegte Kortschnoj, Sieg hier für den schwarzen Spieler.
Und manche sagten: Einen besseren Beweis fürs Jenseits hatten wir nie.
Vielleicht forderte Géza auch ein Rückspiel, der Verlierer.

Wir wissens nicht, das Medium starb bald danach.
Achtzehn Tage später. Nun kann ihm Géza dort Nachhilfe geben.
Die Partie ist nun legendär: transzendentales Schach.
Das Königliche Spiel. In diesem und im nächsten Leben.    

Ψ Ψ Ψ

Gladys besucht ihren Mann

Gladys Osborne Leonard war ein berühmtes Medium.
Lebte in England, irrte sich selten, war stets ehrlich, und darum
Steht nun ihr Name unter den zehn besten Sensitiven aller Zeiten.
Das Hindumädchen Feda half ihr drüben, konnte sie begleiten.
Gladys war gücklich verheiratet; nach langer Krankheit starb ihr Mann.
Sie sah ihn beim Begräbnis, und er meldete sich dann und wann.
Sie trafen sich im Zwischenreich, wenn sie im Halbschlaf war,
dann stand er da, sie sprachen sich und küssten sich sogar.
Wie alle Menschen hatte Gladys Sorgen, die Treffen waren eingetrübt,
obwohl sie ja als Medium ein Profi war, exakt und sehr geübt.   

Dann kam der vierzehnte September neunzehnhundertfünfunddreißig.
Frau Leonard arbeitete im Garten und war dort sehr fleißig.
Sie patrouillierte durch die Beete, jätete, die Uhr des Mannes in der Hand.
Es gab sehr viel zu tun, doch kaum dass sie’s verstand,
war sie im Sommerhaus, mit seinen Möbeln, und ein Sofa stand dabei.
Sie legte sich da hin und neben sich die Uhr, es war knapp drei.
Gladys Osborne Leonard dämmerte so vor sich hin, sie döste,   
schlief aber nicht; und plötzlich merkte sie, dass sie sich löste
vom Hier. »Ich glitt so durch den Raum, der Raum glitt durch durch mich.«
Dann fand sie sich in einem Land, das keiner Gegend, die sie kannte, glich.

Es war die pure Schönheit, sie war sichtbar und war fühlbar,
Wohlsein, Sicherheit in allen Fasern, Segen, unbeschreibbar.
Eine sandbedeckte Küste, und ein Fluß strebte zum offnen Meer.
Auf einer kleinen Insel standen zwei Paläste, und rings umher
Erstreckten Wälder sich von reinstem Grün. Ein weiches Gold
Lag in der Luft, ein goldnes Strömen wie ein Atem, hold.
Wie ein perfekter Tag am Mittelmeer. Ihr ganzes Wesen glühte,
und es war so traumhaft und nicht zu beschreiben. Alles blühte.
Und neben ihr kniete ihr Mann, gebräunt, verjüngt, mit vollem Haar,
in weißen Kleidern aus Flanell, wie er sie liebte: schön, wie je er war.   

Er lehnte sich zu ihr und schaute fest ihr ins Gesicht.
»Du bist nur kurz hier; was ich sage, das vergesse nicht.
Sag allen, dass es gibt ein Leben in der Andren Welt,
ein echtes Leben, eine echte Welt, die uns gefällt.
Wir sind hier glücklich. Alles okay. Und Gott ist hier. Wir sind ihm nah.
Wir warten hier auf euch. Und sind aktiv. Bald bist du da.
Erinnerungen und die Liebe leben fort, wir können lernen,
sag’s allen, auch den Müden und den Fernen.
Ich warte hier auf dich, ich liebe dich: jetzt, alle Zeit.
Wir leben, lieben, wir erinnern uns, wir sind nicht weit.«

Gladys sah ihn und dachte: »Wenn ich bald zurück
In meinen Körper kehre, nie vergesse ich das Glück.«
Sie hatte sich zurückgedacht in ihren Körper, und das war fatal.
Sie spürte, wie sie sich entfernte und war hilflos, eine Qual.
Sie lag dann wieder in dem Sommerhaus und fühlte einen Stich
Im Solar plexus, einen Tritt, und dann erholte sie sich.
Gladys war zurückgekehrt, doch das Gefühl des Glücks ihr blieb.
Zwanzig Minuten unsrer Zeit war sie in der andren Welt, wie sie beschrieb.
Das schönste Erlebnis ihres Lebens! Und — more than a dream.
Bald, dreiunddreißig Jahre später, kam sie dann zu ihm.    

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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