Mexikanische Masken

Endlich ein Beitrag zu Fasnacht/Fasching/Karneval, am letzten dafür möglichen Termin, dem Faschingsdienstag. Máscaras mexicanas lautet ein Kapitel in dem Buch Il Laberinto de la soledad von Octavio Paz, von dem ein Gedichtauszug in den Februar geleitete. Das Buch wurde erfolgreich, weil es den Mexikanern einen Spiegel vorhielt. In den Máscaras geht es auch viel um die mexikanische Frau, und das interessiert uns. 

Der mexianische Autor meint, seine Landsleute hielten sich zurück, schlössen sich ab, schätzten die Form über alles, wobei der Inhalt auch Leere sein könne; sie glaubten nicht an sich selbst und spielten, stets zurückhaltend, den anderen etwas vor: Alle hielten sich eine Maske vors Gesicht. (Das erinnert irgendwie an die Italiener.) Dann kommt er, Paz, zu den Frauen, und da übersetzen wir mal seine Argumentation. Das hat er vor 70 Jahren geschrieben, doch es könnte auch noch heute zutreffen, und es könnte auch für die anderen Länder Lateinamerikas gelten.

05052rWie fast alle Völker betrachten die Mexikaner die Frau als Instrument, entweder für die Wünsche der Männer oder für die Zwecke, die für sie das Gesetz vorsieht, die Gesellschaft, die Moral: Zwecke, das muss man sagen, zu denen niemand ihre Zustimmung eingeholt hat und an deren Verwirklichung die Frau nur passiv teilhat, als »Behältnis« bestimmter Werte. Prostituierte, Göttin, große Dame, Geliebte — die Frau vermittelt oder bewahrt die Werte und Energien auf, die ihr die Natur oder die Gesellschaft anvertrauen. Dies ist eine Welt, die nach dem Bild der Männer gemacht ist, und die Frau ist nur ein Reflex des maskulinen Willens … (und) immer nur Funktion, Medium, Kanal: Die Weiblichkeit ist nie ein Ziel an sich, wie es die Männlichkeit ist.(…)

Wir ziehen es vor, ihre Anmut und Tugend zu verbergen. Das Geheimnis muss die Frau begleiten. Aber nicht nur muss die Frau etwas verbergen, sie muss der Welt noch dazu eine gewisse lächelnde Ungerührtheit bieten. Vor der erotischen Herausforderung soll sie sich »anständig« verhalten, angesichts von Gegnerschaft »dulderisch«. In beiden Fällen ist ihre Reaktion weder instinktiv noch persönlich, sondern folgt einem althergebrachten Modell. (…)

Mexico 057Für die Mexikaner ist die Frau ein obskures Wesen, geheimnisvoll und passiv. Sie sprechen ihr nicht böse Instinkte zu; sie glauben nicht einmal, dass sie solche haben kann. Besser gesagt, … die Frau verkörpert den Lebenswillen, der laut seiner Essenz unpersönlich ist, und darin wurzelt ihre Unmöglichkeit, ein persönliches Leben zu haben. (…) Die Mexikanerin hat einfach keinen eigenen Willen. Ihr Körper schläft und entzündet sich erst, wenn ihn jemand aufweckt. Der Mann … feiert, singt, lässt sein Pferd oder seine Vorstellungskraft tanzen. Sie hüllt sich in ihre Zurückhaltung und ihre Reglosigkeit. Sie ist ein Idol. Wie alle Idole ist sie mit magnetischen Kräften ausgestattet, deren Wirksamkeit und Kraft erst richtig wachsen, wenn der Kraftpol eher passiv und geheim ist. Kosmische Analogie: Die Frau sucht nicht, sie zieht an. Und das Zentrum ihrer Anziehungskraft ist ihr Geschlecht, okkult, passiv. Unbewegliche geheime Sonne.    

So schrieb Octavio Paz das vor vielen Jahren. Meine Assoziation zu den Italienern kommt nicht von ungefähr. Auch in Mexiko gibt es Fälle von Femminicidio (Frauenmord), sehr viele Fälle. In dem Land mit seinen 124 Millionen Einwohnern waren es im vergangenen Jahr 3800, das sind mehr als in Italien (60 Millionen Einwohner) in den vergangenen zwei Jahrzehnten (3200 seit dem Jahr 2000). Das unterstreicht den schrecklichen machismo in dem mittelamerikanischen Staat.

Die Bluttat an der 25-jährigen Ingrid Escamilla, die von ihrem 46-jährigen Lebensgefährten erstochen wurde, führte vor elf  Tagen zu großen Demonstrationen der Frauen in zehn mexikanischen Städten. Wie La Repubblica meldete, war ein Video der Ermittlungsbehörden an die Presse gegangen, die horrende Fotos auf den ersten Seiten veröffentlichte. Die Frauen zogen in der Hauptstadt in Massen vor den Redaktionssitz von La Prensa, einer der größten Zeitungen des Landes, und wiesen Journalisten ab, die mit ihnen reden wollten. Weg mit den Männern! schrien sie.

 

Bild oben rechts: Frida Kahlo bei einem Fototermin für Vogue, Fotograf: Toni Frissell (1907-1988), 1937 (Dank an Library of Congress, Wash. D.C.)
unten links: Mexiko, Chichen Itza, Foto von G. Braghetti, 2015.

     

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