Herr de Montaigne bereist Deutschland

Am 5. September 1580 ging es los. Der Herr Michel de Montaigne (später durch seine Essays berühmt geworden), der Herr von Estissac und zwei oder drei weitere Edelleute starten mit vermutlich zehn Bediensteten eine berittene Badereise, die bis nach Rom führen soll. Ist interessant, da wir erfahren, was er vor 440 Jahren vorfand, zunächst in Süddeutschland.

Montaigne war damals 38 Jahre alt und litt unter Nierensteinen. Koliken und Gicht waren damals verbreitete Leiden schon bei jüngeren Leuten. Sie ritten also los. Das Tagebuch führte zunächst der Diener, der darum immer schreibt: Herr de Montaigne tat dies, Herr de Montaigne tat das. Ende September ging es durchs Gebirge.

Zum Abendessen kamen wir nach Thann, vier Meilen davon. Die erste deutsche Stadt; sie gehört dem Kaiser und ist sehr schön. (…) Überall war die Weinlese in Gang. Zu Mittag kamen wir nach Mülhausen, zwei Meilen davon. Eine kleine, hübsche Stadt, die zum Schweizer Kanton Basel gehört.(…) Wir brachen nach Tisch auf und zogen durch eine schöne Landschaft, eine äußerst fruchtbare Ebene mit verschiedentlichen hübschen Dörfern und Gasthäusern; zur Nacht kamen wir nach Basel, drei Meilen davon. Das ist eine schöne Stadt, ungefähr von der Größe von Blois; sie besteht aus zwei Teilen, denn der Rhein fließt unter einer großen, sehr breiten Holzbrücke mitten hindurch. (…) Die ganze Gegend hat Überfluß an Brunnen … In Basel sollen alles in allem mehr als dreihundert zu zählen sein. (…) 

Also alles sehr schön. Herr de Montaigne widmet sich auch den Gebräuchen an Tisch und dem Schlafen.

Sie sind sehr unsauber in der Besorgung von Kammern; glücklich, wer ein weißes Laken haben kann; die Kopfkissen, die bei ihnen Mode sind, werden nicht überzogen; zum Zudecken dienen nur Federbetten und diese sind recht unsauber. Die Schweizer sind jedoch ausgezeichnete Köche, zumal verstehen sie Fische zubereiten. (…) Die Gebräuche bei Tisch unterscheiden sich gänzlich von unseren. Sie mischen nie Wasser zum Wein und haben gewissermaßen recht, denn ihre Weine sind zu schwach, dass unsere Edelleute sie noch schwächer als die reichlich getauften Gaskognerweine fanden; gleichwohl sind die Weine recht angenehm. (…) Die geringsten Mahlzeiten dauern drei oder vier Stunden infolge der Länge der einzelnen Gänge, und sie essen auch in der Tat weit weniger hastig und viel gesünder als wir. (…) Die Pferde bekommen meist mehr Hafer, als sie fressen können.

Dann geht es weiter, hinüber nach Baden, die Bäderstadt, und weiter bei Kaiserstuhl über den Rhein, doch Zürich ließen sie — merkt auf! —unbehelligt, weil dort die Pest herrschte. Nach Konstanz.

Diese Gegend ist außerordentlich voll von Siechenhäusern für Aussätzige, und die Wege sind voll von diesen Kranken.

Nun ist schon der 10. Oktober, ein Montag. Eine Reise war eine monatelange Unternehmung. Um drei Uhr am Nachmittag erreichen die Franzosen Lindau,

eine kleine Stadt, die hundert Schritt weit draußen im See liegt; diese hundert Schritt geht man auf einer steinernen Brücke. Es gibt nur diesen Zugang, der ganze Ort ist vom Wasser umschlossen. Der See ist hier eine gute Meile breit, und jenseits erheben sich die Graubündener Berge. (…) Die Ausübung zweier Religionen ist erlaubt. (…) In Lindau gibt es nur zwei oder drei Katholiken, wie der Priester dem Herrn von Montaigne sagte. (…) Überall werden Kohlköpfe gezogen, die man mit einem besonderen Instrument klein zerhackt und dann in großen Mengen in Zubern einsalzt; davon werden den ganzen Winter Kohlsuppen gekocht.

Weiter durch Oberdeutschland, durch Wangen, Kempten und Isny, wo sie eine Abtei besuchen.

Der Abt ist gefürstet und zieht aus ihr fünfzigtausend Gulden Rente. Er gehört zum Hause von Stein. Für alle Ordensbrüder ist edle Abstammung Bedingung.

Holla! Nicht alle sind fähig zum Himmelreich. Weg von der Abtei geht es, um Landsberg am Lech zu erreichen.

Am Samstag aßen wir mittag in Landsberg, vier Meilen davon, einer kleinen, ebenfalls dem Herzog von Bayern zugehörigen Stadt am Lech, sehr hübsch für ihre Größe, bestehend aus Stadt, Vorstadt und Schloß. Wir kamen an einem Markttag dorthin, an dem eine Menge Volks da war. Mitten auf einem sehr großen Platz lässt ein Springbrunnen das Wasser aus hundert Röhren eine Lanze hoch hervorschießen und auf sehr kunstfertige Art verlaufen, indem die Röhren sich nach Belieben drehen lassen. Sowohl in der Stadt als auch in der Vorstadt, die bergauf zusammen eine gerade Linie bilden, innerhalb derer auch das Schloss liegt, steht je eine recht schöne Kirche. (…) In all diesen Sädten werden Häuser und Kirchen oft neu bemalt …

Der Kommentator hält dies für ein Zeichen von Wohlhabenheit. Die edlen Reiter erreichen Augsburg, das unter Mäusen leidet, aber nicht unter Ratten wie der Rest der deutschen Lande. Die Ratten brachten ja auch wohl die Pest: durch einen Zwischenwirt, den Rattenfloh, der auf den Menschen übersprang. . Lassen wir den ersten ‚Teil der Reise in München enden, wobei vorher sogar Fürstenfeldbruck, wo ich zehn Jahre das Gymnasium besuchte, durchritten wurde.

Wir durchzogen eine schöne, getreidereiche Gegend und kamen zur Nacht nach Bruck, fünf Meilen davon, einem großen, schöngelegenen katholischen Dorf, im Herzogtum Bayern. Am nächsten Morgen, Donnerstag, den 20. Oktober, reisten wir weiter durch eine große mit Getreide bestandene Ebene (denn Wein gibt es dort gar keinen), darauf durch eine Grassteppe, die sich ausdehnte, so weit der Blick reichte, und kamen zum Mittagessen nach München, vier Meilen davon, einer großen Stadt etwa im Umfang von Bordeaux, Hauptstadt des Herzogtums Bayern und erste Residenz am Ufer der Isar. Sie hat ein schönes Schloss und schönere Stallungen, als ich je in Frankreich und Italien gesehen habe, gewölbt und zur Aufnahme von zweihundert Pferden bereit. Es ist eine stark katholische, bevölkerte, schöne und handelsreiche Stadt.    

 

 

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