Liebet eure Feinde

Vergangenen Sonntag war in der Messe das Evangelium der Auszug bei Matthäus 5,38-48, in dem es heißt: Liebet eure Feinde. Papst Franziskus hielt eine Messe in Bari und predigte selbst. (Im Mai sollte ich einmal Michel de Montaigne von seiner Papstaudienz 1580 erzählen lassen, als er in Rom zum Fußkuss bei Gregor III. antreten durfte.) Heute kümmern wir uns um ein Kapitel aus Der abenteuerliche Simplicissimus von Grimmelshausen, 1668 erschienen.

Den Simplicissimus schlug ich auf, und es sprang mir ebendiese Stelle der Feindesliebe entgegen, und was Hans Jacob Christoph zu Grimmelshausen dazu erzählt, mag in den vergangenen tausend Jahren vielen durch den Kopf gegangen sein. Wer dich auf die linke Backe schlägt, dem halt auch die rechte hin! Liebe diejenigen, die dich hassen, bete für die, die euch verfolgen! Das Christentum hat eine sensationelle Lehre, die es wahrhaft wert wäre, umgesetzt zu werden.

Doch davon sind wir nach zweitausend Jahren Christentum so weit entfernt, wie es die Frühchristen bei Christi Geburt waren. Schimpfen ist einfach, etwas beherzigen schwer. Der Simplicissimus ist der naive Held eines Romans aus dem Dreißigjährigen Krieg, der »überauß lustig und männiglich nützlich zu lesen« ist. Im XXV. Kapitel wird es theologisch. Vor ist meist als für zu lesen.

jezuufamtobieChristus spricht: »Liebet eure Feinde, segent die euch fluchen, tut wohl denen die euch hassen, bittet vor die so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid euers Vaters im Himmel dann so ihr liebten, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? tun solches nicht auch die Zöllner? und so ihr euch nur zu euren Brüdern freundlich tut, was tut ihr Sonderliches? tun nicht die Zöllner auch also?« Aber ich fande nicht allein niemand, der diesem Befelch Christi nachzukommen begehrte, sondern jedermann tät gerad das Widerspiel; es hieße: Viel Schwäger, viel Knebelspieß; und nirgends fande sich mehr Neid, Hass, Missgunst, Hader und Zank, als zwischen Brüdern, Schwestern und andern angeborenen Freunden, sonderlich wenn ihnen ein Erb zu teilen zugefallen war.

Grimmelshausen will sagen, dass wir den Feind nur ehren, wenn Geld dabei herausspringt, und dass wir es nicht einmal schaffen, unsere Freunde zu lieben, weshalb »die offenen Sünder, Publikanen und Zöllner … uns heutigen Christen mit Übung brüderlicher Liebe weit überlegen gewesen; maßen ihnen Christus selbstens das Zeugnus gibt, dass sie sich untereinander geliebet haben.« Wo die größte Lieb und Treu sein sollte, vermerkt der Autor, habe er die höchste Untreu und den gewaltigsten Hass gefunden.

Mancher Herr schunde seine getreue Diener und Undertanen, hingegen wurden etliche Undertanen an ihren frommen Herren zu Schelmen. Den kontinuierlichen Zank vermerket ich zwischen vielen Eheleuten; mancher Tyrann hielte sein ehrlich Weib ärger als einen Hund, und manche lose Vettel ihren frommen Mann vor einen Narrn und Esel. Viel hündische Herrn und Meister betrogen ihre fleißige Dienstbotten um ihren gebührenden Lohn und schmäülerten beides, Speis und Trank; hingegen sahe ich auch viel untreu Gesind, die ihre fromme Herren entweder durch Diebstahl oder Fahrlässigkeit ins Verderben setzten. (…)

Ich sahe einmal einen Soldaten einem anderen eine dichte Maulschelle geben und bildete mir ein, der Geschlagene würde den anderen Backen auch darbieten. Aber ich irrete, denn der Beleidigte zoge von Leder und versetzte dem Täter eine Wunde davor an Kopf. Ich schriee ihm überlaut zu und sagte: »Ach Freund, was machst du?« (…)

Dann: der Krieg. Gimmelshausen traf täglich Leute, die sich rühmten:

federl_konrad»Potz Blut, wie haben wir gester gesoffen! Ich hab mich in einem Tag wohl dreimal vollgesoffen, und ebenso vielmal gekotzt. Potz Stern, wie haben wir die Bauren, die Schelmen, tribuliert. Potz Strahl, wie haben wir Beuten gemacht. Potz hundert Gift, wie haben wir ein Spaß mit den Weibern und Mägden gehabt.« (…) Solche und dergleichen unchristliche Reden erfüllten mir alle Tag die Ohren, und überdas, so hörte und sahe ich auch in Gottes Namen sündigen, welches wohl zu erbarmen ist. Von den Kriegern wurde es am meisten praktiziert, wenn sie nämlich sagten: »Wir wollen in Gottes Namen auf Partei, plündern, mitnemmen, totschießen, niedermachen, angreifen, gefangennemmen, in Brand stecken«, und was ihrer schröcklichen Arbeiten und Verrichtungen mehr sein mögen.

Und wenn der Simplicissimus den Leuten mit seiner »H. Schrift« kam oder sonst »treuherzig abmahnte«, was nicht im Einklang mit Jesu Worten stand, so

hielten mich die Leut vor einen Narren, ja ich wurde meiner guten Meinung halber so oft ausgelacht, dass ich endlich auch unwillig wurde und mir vorsetzte, gar zu schweigen … 

Man stelle sich vor, heute, 350 Jahre später, finge einer im Alltag an, man solle den Kollegen lieben, der einen peinigt, und statt drei Seiten Strafarbeit gleich sechs schreiben … wie doof fänden das die Leute! Bist du behämmert? würden sie sagen. Für verrückt gehalten würde man. Das spricht für die kirchliche Urlehre: Sie steht auch heute noch quer zum hirnlosen Treiben der Menschen. Wollen wir es nicht dennoch einmal vorsichtig versuchen, für die zu beten, die uns verfolgen? Sie zu … lieben?

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Das war geschrieben worden, kurz bevor ich von der Tat von Volkmarsen am Nachmittag des Rosenmontag erfuhr. Er werde in der Zeitung stehen, so soll der Mann sich von einer Nachbarin verabschiedet haben. Nicht nur lieben manche nicht ihre Freunde, sondern sie bringen sogar noch Unschuldige um, weil ihnen irgendwas oder alles nicht passt. Und das in einem Land, in dem man ruhig leben kann und das einem alle denkbaren Annehmlichkeiten bietet. Ist das nicht abgründig? Man weigert sich jedoch, darüber nachzudenken, sondern spekuliert lieber darüber, wer CDU-Vorsitzender wird. Alles auf Abwehr. Denn sonst müsste man sich fragen, was schiefgegangen ist. Was den Leuten fehlt. (Was fehlt Ihnen? fragt die Ärztin) Alles Weitere dazu steht in dem Januar-Beitrag Wer sind die Opfer? Die Antwort: wir alle. Und Täter sind wir auch. Wir alle sind für die einzelnen Irren verantwortlich, die unsere Freunde töten. 

 

 

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