Die Hochzeit von Haiti

Anna Seghers (1900-1983) floh vor den Nazis, blieb die Jahre von 1941 bis 1947 in Mexiko und ließ sich dann in der DDR nieder. Ihr Buch Das siebte Kreuz wurde verfilmt und machte sie weltberühmt. Der Bibliothekenengel spielte mir, kaum hatte ich den Flyer von der Ausstellung mit den zehn kämpferischen Frauen eingesteckt, das Seghers-Buch Die Hochzeit von Haiti in die Hände, in der es um die Sklaverei, die französischen Besitzungen, die Liebe und den Tod und Toussaint Louverture geht. Glorreich!

Anna Seghers hatte auch einige Zeit in der Dominikanischen Republik verbracht und brachte drei karibische Erzählungen aufs Papier, die der Luchterhand-Verlag gesammelt in den Druck brachte. Die Hochzeit von Haiti (in dem Taschenbuch, der 4. Auflage  von 1981, die erste Geschichte) erschien ursprünglich 1949, Wiedereinführung der Sklaverei auf Guadeloupe (zweite Geschichte) 1948 und Das Licht auf dem Galgen (die dritte) 1961.

Das ist ein Lesegenuss. Anna Seghers war eine Meisterin unserer Sprache, schilderte lyrisch und prägnant zugleich, und in auch kurzen Sentenzen sind Körner von Weisheit verborgen. Sie beherrscht den »Legendenstil«, den auch Joseph Roth und Leo Perutz gern pflegten. Und dan belebt sie ein großes Ethos. Ein grundlegendes Motiv verbindet die drei Erzählungen: Ein junger weißer Mann, ein Franzose, beteiligt sich am Kampf der Schwarzen um ihre Freiheit, lernt ein schwarzes Sklavenmädchen kennen und lieben und geht schließlich zugrunde.

In der Hochzeit von Haiti ist es der Juwelenhändler Michael Nathan, der aus Paris nach Haiti reist. Die Ureinwohner halten ihn für integer, Margot (eine junge Sklavin) steckt ihm einen Brief zu, in dem Toussaint Louverture ihn zu einem Treffen bittet. Nathan soll einen Brief an die französischen Kommissare schreiben. Er und Margot nähern sich einander an, und das schildert Anna Seghers durch die Augen von Michaels Schwester, für die Schwarze mindere Wesen sind.

Das schwarze Mädchen unterstand sich auch, ihrem Bruder zu antworten. Er sah auch genau, was sie sagte. Sein Blick wurde klarer, solange sie redete. Dann schwiegen sie beide, als dächten sie beide über dasselbe nach.

Michael kaufte ein kleines Landhaus. Margot gebar ihm dort eine Tochter. Dann kam Napoleon Bonaparte, der auf den Schultern von Negern keine Epauletten sehen wollte. Wieder soll Nathan einen Brief schreiben; Toussaint traf sich mit Franzosen und nahm nicht ernst, was sie mehrmals geäußert hatten: dass ein Versprechen, Negern gegeben, niemals gälte. (So hielten es auch die weißen Amerikaner den Indianern gegenüber.) Der schwarze Anführer wurde deportiert. Michael ging in die Berge, und als er zurückkehrte, war seine Margot tot, am Fieber gestorben. Dann fuhr er nach London und heiratete.

Da es ihm einerlei war, bei welcher Frau er zufällig lag, da es doch die Frau nicht mehr sein konnte, die er liebte, war es am einfachsten, dieses ruhige, freundliche Mädchen anzunehmen, das ihm der Vater vorschlug.

Doch er wurde krank und starb bald darauf, etwa um dieselbe Zeit wie Toussaint Louverture im Fort de Joux.

Ihr Tod, gleichzeitig an verschiedenen Enden der Welt, erscheint einem weniger rätselhaft, wenn man weiß, dass sie ein und derselben Aussaat entstammen. 

In Wiedereinführung der Sklaverei auf Guadeloupe sympathisiert der französische Offizier Beauvais mit den Schwarzen und ihrem Land. Seine Verlobte wartet in Frankreich auf ihn, doch ihn hält das Geschehen auf der Insel fest. Er will dableiben, zieht sich willentlich eine Vergiftung zu, um nicht reisen zu müssen, und seine Verlobte löst die Verlobung. Auf dem Krankenlager fällt alles von Beauvais ab, der von Suzanne gepflegt wird.

Auf einmal fiel die Erinnerung von ihm ab. Er strengte sich an, etwas Blondes und Weißes festzuhalten; dan war es in die Dunkelheit wie in ein Wasser abgeglitten., in eine Zeit, die nicht mehr seine war. Suzanne blieb hart und blank zurück wie der Kern einer Frucht, die sie ihm schälte. … Er liebte die rote Innenfläche ihrer Hände mehr als den blonden und weißen Rauch. Es war ein Bestandteil von etwas, das litt und bedroht war und mehr Liebe brauchte, als ein Mensch aufbringen kann.

Beauvais sprengt sein eigenes Fort in die Luft. Jahre später (ein schöner Kunstgriff) erzählt in Frankreich der böse Oberst Boyer von jener Zeit.

Sie hätten damals die toten Neger auf einen Haufen geworfen. Da hätte plötzlich jemand geschrien, der ist ja weiß! … Ein einzelner weißer Mann in der ganzen schwarzen Masse. … An Beauvais hätte sich nie mehr ein Mensch erinnert, wenn unter den Zuhörern nicht dieser Knabe gesessen hätte. Was er eben gehört hatte, regte ihn auf bis ins tiefste Herz. … Es gab also noch eine andere Welt. … Der fremde Mann hatte sein Leben für etwas geopfert, was nichts mit dem Ruhm zu tun hatte, von dem man hier las und sprach.

Die dritte Erzählung hat ihren Titel von der letzten Stunde des Jean Sasportas, der für die Befreiung der Sklaven wirkte, aber verraten wurde, und die kleine Ann, die er liebte, musste erfahren, dass man ihn weggebracht hatte.

Als man ihm die Schlinge um den Hals legte, rief er: »Ihr Neger, macht es wie die in Haiti!« Nach einer Minute schnitt der Henker den Strick durch. Der Leichnam fiel ins Meer wie ein Stein. … Galloudec … sah in die Richtung von Port Royal, er dachte: Ann hat gesagt, heute wird Sasportas gehenkt … Es war ihm zumute, als leuchte ein Licht von der Spitze des Galgens zu ihm herüber. Ich hätte ihm vor einem Jahr, dachte Galloudec, nicht viel zugetraut. Wenn ich ihn bisweilen im Leben traf, ahnte ich gar nicht, was das für ein Leben sein wird. Das Licht war erst am Schlusspunkt aufgestellt worden.
 

 

 

 

 

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