Flugverkehr (91): Der Zeppelin über Landsberg

In dem Buch Landsberg am Lech in alten Photographien (1980, Hg. Anton Huber) fand ich eine mit dem Zeppelin über der Stadt, die mir bislang entgangen war. Wie die Basler und alle anderen waren die Landsberger Bürger fasziniert von dem aufgeblasenen Koloss. Das Photo, weiter unten zu bestaunen, stammt aus dem Jahr 1912, dem Jahr übrigens, in dem die Titanic sank. Zwei Jahre später zogen die Völker in den Krieg, und vorbei war es mit der Gemütlichkeit und dem friedlichen Schweben in den Lüften. 

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Etwas braunstichig, das Bild. J. Sutor ist als Fotograf angegeben. Das Luftschiff scheint den Turm der Stadtpfarrkirche zu streifen. Ganz schön lang sieht es aus. Einmal habe ich sogar über eine Zeppelin-Ausstellung in Landsberg geschrieben, Flugverkehr 19, die Umkehrung von 91. 2020-03-06-0004Damals gab es auch Ballonfahrten; der Ballon fuhr, wie auch die Zeppeline fuhren. Es waren Schiffe der Lüfte, dem Wetter hilflos ausgesetzt wie weiland die Segelschiffe. Rechts sehen wir eine Postkarte zur Gordon-Bennett-Wettfahrt 1909 in Zürich. Auch den Ballonen und Montgolfièren hat manipogo Beiträge gewidmet. Das war noch sportsmanship, riskant und neu und großartig. 1921, als der Große Krieg zu Ende war mit Millionen Toten, blickte Horst Wolfram Geissler zurück und ließ sein Buch Der liebe Augustin so beginnen:

Es geht die Sage: Einst sei die Welt freundlicher gewesen als heute. … Es gab noch keine Eisenbahnen, keine Dampfschiffe, keine Kraftwagen, und also auch weder Ruß noch Lärm noch aufgejagten Staub. Es gab nur eines in dieser alten Landschaft: Ruhe. In allem lag sie, auch in den Menschen, eine biedere, handwerkliche Ruhe und Beschaulichkeit. 

Glauben wir das mal. Das ist natürlich romantisch verklärt beschrieben, und derzeit haben wir einen Geschmack davon. Wir kennen jedoch den Menschen: Auch damals wird geschimpft worden sein, damals um 1800, als der Instrumentenbauer Augustin Sumser sich in Lindau im Bodensee niederließ, denn Napoleons Truppen kamen, es wurde gehungert und gefroren. Grund zu jammern gibt es immer. Der liebe, liebenswerte Augustin wurde ein großer Bucherfolg, verhinderte aber nicht, dass 1939 der nächste Krieg angezettelt wurde (von seinen Landsleuten), der ein »moderner«, also technischer Krieg war. Die Flugzeuge waren weiterentwickelt worden, Schiffe hatten Zerstörungspotenzial, Panzer pflügten sich durch Länder. Der Blick, durch die Ausdehnung des Bewegungsradius geweitet, richtete sich über die Grenzen. Die Welt konnte sich erobern lassen, dachte man.

Die Technik eroberte dann die Welt. Hundert Jahre nach dem Erscheinen von Geisslers Buch leben wir bequem, aber nicht in DSCN5311Ruhe. Ein Kommunikations- und Bewegungsfuror hat viele erfasst. Der Mensch kennt keine Grenzen; er macht so lange weiter, bis er irgendwie und von irgendwas gestoppt wird. Kreuzfahrtschiffe mit 5000 Menschen drin, rastloser Flugverkehr mit riesigem Kerosin-Ausstoß, viele Millionen Motorfahrzeuge für die individuelle Fortbewegung. Da wird es schnell einmal zu eng. Jetzt, in dieser Situation, klingt das wie ein Rückblick auf eine vergangene Zeit und ist es auch, doch ist zu fürchten, dass der Stillstand nur ein Interregnum der Ruhe gewesen sein wird.

Geräte und Menschen wollen bewegt werden, das ist der Reflex des modernen bürgerlichen Menschen, der sein Fortkommen und sein Heil in der Eroberung des Nutzlosen sucht, wobei er weltanschaulich nicht viel weiter gekommen ist als Augustin Sumser und ihn das Geistige ohnedies kalt lässt. Das kalte Funktionieren zeichnet die durchkalkulierte Gesellschaft aus, und dann wurde sie kalt erwischt und reagierte mit einer Vollbremsung und pathetischen Kommentaren. Doch nun scharren schon alle wieder mit den Hufen.

 

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