Roma, città aperta

Rom, offene Stadt ist ein Film von Roberto Rossellini aus dem Jahr 1946. Als Deutschland stillstand, habe ich mir ein paar italienische Nachkriegsfilme angeschaut. Heute vor 75 Jahren endete in Europa der Zweite Weltkrieg. Das heißt: schon lange her. Und vor 100 Jahren stellte sich Benito Mussolini als »Duce« (Führer) an die Spitze der faschistischen Bewegung seines Landes. Lange her. 

Es geht um den Widerstand in Rom, das im September 1943 zur offenen Stadt erklärt worden war und also nicht bombardiert werden sollte. Die Deutschen beherrschten neun Monate lang die Ewige Stadt, bis Anfang Juni 1944, als die US-Panzer eintrafen. Gleich im Oktober 1943 sollten 8000 Juden nach Auschwitz gebracht werden, doch nur 1008 bekam man zusammen, weil die Römer »nicht kooperativ« waren. Im Gestapo-Hauptquartier in der Via Tasso wurden festgenommene »Rebellen« von den Nazis gefoltert und umgebracht, denen im wahrsten Sinn des Wortes nichts heilig war. In Kafalonia auf Griechenland erschossen deutsche Militärs (ja, Militärs, also Soldaten, nicht unbedingt Nazis) im September 1943 5000 italienische Soldaten, kaum dass diese sich ergeben hatten, ein ewiger Fleck auf der stets so hoch gehaltenen deutschen Soldatenehre.

Im Film leitet Giorgio Manfredi einen Trupp von Widerständlern und gehört auch zum Schattenkabinett von Badoglio. Sein Freund Francesco und Pina wollen am nächsten Tag heiraten. Sie haben schon ein Kind, und Pina ist schwanger mit einem zweiten. Francesco arbeitet undercover und organisiert Truppen des Widerstands (resistenza). Pina (Anna Magnani) ist am Ende ihrer Kräfte. Da legt er den Arm um sie und sagt:

francesco… und sogar der Frühling wird wiederkommen. Und er wird schöner als alle anderen sein. Wir müssen daran glauben. Wir müssen es wollen. Und wir sollten keine Angst haben, weder heute noch morgen. Weil wir auf dem richtigen Weg sind, verstehst du? Wir kämpfen für eine Sache, die eintreffen muss, die nicht nicht eintreffen kann. Vielleicht wird die Straße dorthin ein wenig lang und mühsam zu gehen sein, doch ankommen werden wir. Und wir werden eine bessere Welt sehen. Darum darfst du keine Angst haben, nie!

magnaniUnd gleich eine Razzia, sie bringen Francesco und Giorgio Manfredi in Lastwagen fort, und Pina (Anna Magnani) läuft, »Francesco!« rufend, diesen hinterher, als sie von einer Salve niedergestreckt wird. Die beiden Männer werden von Kämpfern befreit, die dem Konvoi außerhalb Roms auflauern. Doch bald danach verrät sie eine junge Frau, eine Freundin Giorgios. Auch ein befreundeter mordanpietroPriester, Don Pietro Pellegrini, der der Resistenza hilft, landet im Gefängnis. Giorgo wird gefoltert und stirbt, ohne etwas verraten zu haben. Francesco erhängt sich. Don Pietro wird später, am Ende des Films, vor ein Hinrichtungskommando geführt. Seinem Kollegen, der ihm beisteht, sagt er: »Gut sterben ist leicht, gut leben jedoch schwer.«

Der sadistische Sturmbannführer, der Giorgio foltern lässt, trifft im Offiziersklub auf den betrunkenen deutschen Offizier Hartmann, der aus seinem Sessel heraus sagt: »Morden, morden, immer nur morden! Hass, Hass, Hass auf uns, wir werden vom Hass vertilgt werden.« Er spielt die Rolle des Narren, der die Wahrheit spricht und Deutschland den Spiegel vorhält. Deutschland schlug jedoch den Spiegel weg; es wollte von seiner Grausamkeit und den Millionen Toten nichts wissen.

Ich war sprachlos, als ich las, dass der ruhige, meisterhaft inszenierte Film in unserem Land von der Freiwilligen Selbstkontrolle 1950 verboten wurde, weil angeblich »völkerverhetzende Wirkungen« zu befürchten seien. Erst sechs Jahre zuvor war alle gute Literatur in Deutschland durch die Nazis verboten und verbrannt worden, und nun, fünf Jahre nach der Katastrophe und der Offenlegung der deutschen Barbarei, wurde die Wahrheit verboten. Die Folterszene, die auch die Wahrheit war, wurde herausgeschnitten, als der Film endlich 1961 in die Kinos kam. Es wird nicht von Nazis gesprochen, die Folterer sind irgendwie außerirdisch … erinnert das nicht an Tendenzen von heute, diese überzogene political correctness, die zur Diktatur der gepflegten Lüge wird?

Häftlinge aus den Konzentrationslagern wurden nach dem Krieg ignoriert (und damit zum zweiten Mal niedergetreten), und Intellektuelle, die aus dem Exil kamen, wurden verachtet. Im Grunde verschloss unser Land 30 Jahre seine Augen vor dem, was es angerichtet hatte und was zudem in der Menschheitsgeschichte beispiellos war. Erst Ende der 1970-er Jahre konnten Berichte aus den Lagern veröffentlicht werden. Dafür muss man sich abgrundtief schämen.

 

Illustrationen: Oben die Szene, als Francesco seine denkwürdigen Sätze zu Pina spricht; Mitte: die berühmte Szene, als sie den Lastwagen nachläuft und erschossen wird; unten Don Pietro vor dem Peloton.

 

 

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