Der Wachsame

Der Wachsame heißt Il Vigile auf Italienisch, und das ist auch das Wort für den »Schutzmann«, wie der Polizist früher hieß. Und eine italienische Komödie von Luigi Zampa aus dem Jahr 1960 heißt so. Den Titelhelden Otello Celletti spielt der beliebte römische Schauspieler Alberto Sordi (1920-2003). Die Geschichte ist lehrreich, lustig und tragisch zugleich — und eminent politisch, denn Italien und seine Kunst litten immer unter ihrer politischen Klasse.

Otello ist ein typischer Italiener von damals: ein gutaussehender Großsprecher, ein liebenswerter Aufschneider, ein ineffizienter Mitarbeiter. Damals, als ich dort war, vor 20 Jahren (vielleicht auch heute noch), hieß es: Hüte dich, wenn ein Italiener sagt ci penso io (Ich kümmere mich darum.) Denn dann geht es garantiert schief. — Celletti ist verheiratet und hat einen Sohn, aber gerade keine Arbeit, und viele Tätigkeiten empfindet er als unter seiner Würde, weil er keine Lust dazu hat.

isordisDoch dann bekommt er seinen Wunsch erfüllt: Otello wird Vigile mit Motorrad in der Stadt Rom. Vor so einem hat man Respekt. Alle, die ihn kennen, sind stolz auf Otello. Er hat es geschafft. Dass er bei seinen ersten Einsätzen vor dem Cimitero Verano durch sein Herumfuchteln aus Großspurigkeit und Unfähigkeit gleich Verkehrsstaus produziert, ändert daran nichts.

Dann bleibt die schöne Schauspielerin Sylva Koscina mit ihrem Auto liegen. Otello kriegt den Wagen nicht flott, bezaubert jedoch isordi2die Mimin. Sie hat zwar Papiere und Führerschein vergessen, doch der Vigile lässt sie ungeschoren. Leider tritt Sylva im Fernsehen auf  und erzählt vor Millionen Italienern, wie sie von einer Strafe verschont blieb. Das gefällt dem Bürgermeister (ihn spielt Vittorio de Sica höchstselbst, der Altmeister des italienischen Kinos) nicht, der meint, vor dem Gesetz seien alle gleich. Nun wird es kurios und philosophisch. Der Bürgermeister fährt mit dem Auto zu seiner Geliebten, und er fährt zu schnell. Der Vigile Otello stellt ihn, bleibt standhaft (hatte der Bürgermeister nicht gesagt, vor dem Gesetz seien alle gleich?), stellt ihm ein Strafmandat aus. Bürgermeister rast davon, Otello folgt ihm und schaut sich die Villa der Geliebten an.

Bald sind Bürgermeisterwahlen. Der Straßenpolizist Otello Celletti blieb bei seinem Strafmandat und wurde strafversetzt. Die Monarchisten bemächtigen sich seiner und stellen ihn zur Wahl auf. Unser braver Polizist wächst über sich hinaus und hätte das Amt wohl gemeistert (noch Dümmere waren schon Bürgermeister der Ewigen Stadt) — doch die herrschende Klasse handelt und recherchiert und findet einige dunkle Punkte in Cellettis Leben: Er ist unverheiratet trotz gemeinsamem Kind, weil der Mann seiner Frau unauffindbar ist; seine Schwester arbeitet als Prostituierte in Mailand. Beim Gerichtsverfahren wegen des Strafmandats gibt Otello klein bei: Sein Geschwindigkeitsmesser habe nicht funktioniert, der Bürgermeister sei unter dem erlaubten Tempo geblieben.

Otello Celletti fährt weiter, ist vergnügt, und dass der Bürgermeister am Ende mit seinem Auto wegen überhöhter Geschwindigkeit verunglückt, ist wohl als die Rache des ohnmächtigen kleinen Mannes an der Politik zu werten. Damals, 1960, war eine bleierne Zeit in Italien, mit der kirchenhörigen Democrazia cristiana (DC) an der Macht und der Mafia vor der Tür. Fellini und Pasolini prägten dann die 1960er Jahre, doch deren Filme waren weniger politisch als Il Vigile von Luigi Zampa, der auf ein wahre Begebenheit aus dem Jahr 1959 zurückgeht.

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.