Die Sonne Italiens
Der Mai wird auf manipogo anscheinend zum Italien-Monat, angetrieben von dem Gedanken, dass diese Tourismussaison für unsere Freunde nicht stattfinden wird. Den Verlust beziffern zu wollen (66 Milliarden, heißt es), ist lächerlich. Wir haben etwas verloren, doch werden entschädigt durch eine neuerliche Italien-Sehnsucht, die sich vielleicht im Jahr 2021 erfüllen darf — und die Sidorow kannte, eine Gestalt des russischen Schriftstellers Isaak Babel (1894-1940).
Babel, geboren in Odessa, wurde mit Maxim Gorki bekannt und folgte 1920 als Reporter der Reiterarmee des Generals Budjonny nach Polen. Damals muss er die Erzählung Die Sonne Italiens geschrieben haben, die ich in einem Band fand. Mit Bleistift schrieb ich einige Sätze ab, die ich hier wiedergebe.
Sidorow sprach in dieser milchweißen Mondnacht kein Wort.
Dann wird er zur Ordonnanz gerufen, und der Erzähler, der ihn beobachtete, eilt an den Tisch, an dem Sidorow geschrieben hat und blättert in dem dort liegenden Buch.
Es war ein Lehrbuch der italienischen Sprache mit einem Bild des römischen Forums und dem Stadtplan Roms.
Dann kommt ein Zitat, das von Sidorow selber stammt, der seine Freundin Viktoria adressiert.
Italien! — Das Land hat sich in mein Herz geschlichen und hat’s mir angetan. Der Gedanke an dieses niegesehene Land ist mir süß wie ein Frauenname, wie Ihr Name, Viktoria!
… So war die Nacht erfüllt von fernen, schweren Klängen, im feuchten Dunkel ein viereckiger Lichtschein und darin das totenblasse Gesicht Sidorows, eine leblose Maske über gelbem Kerzenlicht.
Ach, Sehnsucht ist Liebe! Wir sollen lieben, ohne etwas zu wollen; die Süße des Verlangens sei uns genug, denn die Erfüllung enttäuscht uns oft genug und kann uns nicht genug sein. Das Glück wartet da, wo du es nicht erwartest; wenn du mit ihm rechnest, ist es schon weitergelaufen. — Isaak Babel, der mit seinem Buch Die Reiterarmee berühmt geworden war, wurde im Mai 1939 denunziert, der antisowjetischen Umtriebe beschuldigt und am 27. Januar 1940 erschossen.