Tagesanbruch, Italien

Ich habe im Werk von Mario Luzi ein wunderschönes Gedicht entdeckt, das ich hier übersetzen muss. Ich will es über manipogo allen zugänglich machen, denn ist ist eine Hymne und ist mehr Gebet denn Gedicht. Jeden Tag geht die Sonne auf, und im April ergoss sich ihr Licht jeden Morgen voll und ungezügelt ins Zimmer, so wie bei Luzi.

Für mich ist es natürlich Freude und Herausforderung, das Gedicht gut und möglichst kongenial zu übersetzen. Luzis Gedichte haben keine Titel.

DSCN0998Noch etwas verschlafen
öffnet sie den Rolladen,
und gleich füllt sich ihr
mit Gold und Luft
farbensprühend das Glas
des Zimmers. O Morgen,
o himmlische Anmaßung,
überroll mich nicht, nimm mich nicht
mit Gewalt, ich bin noch nicht bereit —
denkt sie und flüstert dabei
ihrem unsicheren Widerstand zu —
es stellt sich dir entgegen
die Schwere und der Schatten
meiner Undurchsichtigkeit,
die die Nacht nicht verbrannt
und das Erwachen nicht zerstreut hat.
Ich bitte dich, neuer Tag,
komm, aber komm langsam,
dring langsam in die Dinge ein,
zünde mich an wie eine Lampe,
damit ich mich dir weihen kann,
wie ich muss und wie ich will,
für dich, für Meinesgleichen,
für die Seele der Welt,
die uns beherbergt, uns bedrängt
und uns nicht wenig tröstet, uns,
die wir zu ihr gehören.

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