O tsuki!

Wieder Vollmond! Ich habe mir hundert japanische Gedichte aus frühen Jahrhunderten angeschaut, die im Internet Sacred Text Archive zu finden waren. Es sind Tanka-Gedichte vom 7. bis zum 12. Jahrhundert, und Tanka heißt: 31 Silben, aufgeteilt in 5 Zeilen im System 5-7-5-7-7. Wir werden gleich sehen, wie das aussieht, und dazu habe ich japanische Bilder mit dem Vollmond gefunden. Der Mond = tsuki.

Nakamaro Abe soll mit 16 Jahren in einer Vollmondnacht das folgende Gedicht geschrieben haben. Er verfasste es im Jahr 726 und starb 780. Da haben wir exakt das Tanka-System (5-7-5-7-7). Beim Haiku werden untereinander 5, 7 und 5 Silben geschrieben. Ich musste den Inhalt aus dem Englischen übersetzen und hoffe, dass es ungefähr trifft.

00497rjapan1Ama no hara
Furisake-mireba
  Kasuga naru
Mikasa no yama ni
Ideshi tsuki kamo.

Ich schau hoch zum Himmel,
Die Gedanken fliegen:
Weit weg, bei Kasuga,
Seh ich über dem Mikasa-Berg
den Mond (tsuki) aufsteigen.

Sosei Hoshi, ein Priester, war der Sohn von Bischof Henjo, der auch Gedichte schrieb. Sosei wurde später Abt des Klosters Riyau-Inwin in Isono-kami (Provinz Yamato).

02935rjapan2Ima kon to
Iishi bakari ni
  Naga-tsuki no
Ariake no tsuki
Wo machi izuru kana.

Ich warte auf dich
an unsrem vertrauten Platz.
Der Mond schien die ganze Nacht,
Du versprachst mir mit ihm:
Ich komme bestimmt zu dir.

Von Fuka-Yabo Kiyowara weiß man nichts, nur, dass er um die Mitte des 10. Jahrhundert lebte.

 Natsu no yo wa
Mada yoi nagara
01832rjapan4  Akenuru wo
Kumo no izuko ni
Tsuki yadoruramu.

Zu kurz ist sie,
Die schöne Sommernacht!
Schon die Dämmerung!
Hinter einer Wolke (kumo)
Könnte doch der Mond bleiben!

Die wichtigste Autorin ist Murasaki Shikibu, die im Jahr 992 starb. Sie schrieb in der Abtei Ishiyama bei Kyoto Genii Monogatari, vermutlich den ersten Roman der Welt. Bei einem Spaziergang auf ihrer Veranda sah sie in einer Mondnacht ihren Geliebten, aber sie war sich nicht sicher.

00280rjapan3 Meguri-aite
Mishi ya sore tomo
  Wakanu ma ni
Kumo gakure nishi
Yowa no tsuki kana.

In einer Mondnacht
Ging ich spazieren.
Jemand eilte vorbei, wer?
Wolken zogen auf,
Verhüllten den hochstehenden Mond.

 

Illustrationen, von oben nach unten:
Ando Hiroshige (1797-1858), Sumida gawa no tsuki
Ders., Kyôbashi takegashi
Uehara Konen (1878-1940), Tsuki ni tamari fune
Utagawa Kunisada (1786-1869), Jûgo.

(Dank an Library of Congress, Wash. D. C.)

 

 

 

 

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