Der Meister und wir

»Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen«, lautet ein deutsches Sprichwort. Das bedeutet wohl: Der Weg zum Meister ist lang, man bekommt den Titel nicht geschenkt. »Lehrjahre sind keine Herrenjahre« — ein weiteres Sprichwort. Das Handwerk war ja im Mittelalter eine ehrenvolle Tätigkeit, in Zünften organisiert, und die Freimaurer waren Handwerker des Geistes, von Geheimnis umgeben.

Der Meister war alles. Auch der Guru, der geistige Chef, wird als Meister bezeichnet. Zitieren wir mal aus einem Buch über das japanische Blumenstellen, ikebana, und uns wird vieles klar.

033 Auch das letzte Ziel des Blumen-Weges lag in der Aufgabe des Selbst, in der Selbstlosigkeit, mugã. … Hat der den Weg Praktizierende dieses Ziel erreicht, dann steht auch er vor der Meisterschaft. Er erlebt die Blume aus ihrem Wesen heraus und kennr keine Zweifel mehr bei ihrer Anordnung. Alles fügt sich von selbst zu einer inneren Harmonie, wenn sein Erleben echt war. (…)

Die mit den Blumen gestaltete Form war also nicht Endziel. Sie sollte und musste allein Mittler sein, die in ihr verborgene Wahrheit dem Betrachter erlebbar zu machen. Der Praktizierende hat jetzt seine Freiheit zurückgewonnen, die ihm bei den ersten Schritten auf dem Wege genommen worden war. Das Handwerkliche hemmt ihn nicht mehr. Er besitzt es zwar, aber er ist sich des Besitzes nicht bewusst. Kunstfertigkeit ist Können geworden. Er ordnet die Blumen, ohne sie ordnen zu wollen. Er erlebt seine Friheit in einem wunderbaren Sinne. Der Stoff in seiner Hand formt sich durch das innere Erleben ganz von selbst. 

stierkampfIn jedem Fach muss der Adept sich als demütig erweisen. Vieles gibt es zu lernen, und der Meister geht voran. Nicht nur Irina wurde hart behandelt — Millionen Lehrlinge haben das auch erlebt. Im Handwerk erlernt man eine Technik; bei uns im Westen reicht das, die Entwicklung der Persönlichkeit geschieht nebenher und scheint mit der Tätigkeit nichts zu tun zu haben. Doch was in dem Zitat dargestellt wird, trifft auf jedes Tun zu. Ob es die Teezeremonie ist, der Schwertkampf, die Philosophie … oder Elektro- oder Schreinerhandwerk: Der Mensch hat es mit Dingen zu tun, und seine Kunst zeigt sich erst am Gerät, an irgendwas. Er muss etwas tun, sonst ist er kein Mensch.

Wenn es ihm gelingt, sein Selbst abzuwerfen, ist er handelndes Ding unter Dingen, und der Pilger wird zum Pfad (der Elektriker zur Installation). Er (oder sie) nimmt den Geist der Dinge in sich auf und folgt ihm, während er selbst zurücktritt. So kann sich das Tao zeigen, der Weg. So arbeitet man selbstvergessen vor sich hin, den Dingen ihre Würde lassend, und das ist eine Art Liebe zur Welt und zu Gott.

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