Flugverkehr (100): Die Elster als Botin

Der 100. Flugverkehr. Revolutionär. In dem Buch Türkische Märchen fand ich eins, in dem ein Vogel vorkommt, der dann aber ausbleibt. Kein Flugverkehr also; langes Warten; vermutlich vergebliches Warten, und weil die Elster nicht kommt, bleibt alles, wie es ist. Auch der Engel Aloisus alias Alois Hingerl hätte zur bayerischen Regierung fliegen sollen, versumpfte aber wieder einmal im Hofbräuhaus, und drum fehlt der Regierung die göttliche Eingebung. (Dieser Satz strich die Zensur damals, vor 100 Jahren, dem Ludwig Thoma.)

So hebt das Märchen an, passt auf:

In alter Zeit versammelten sich einmal die Frauen und sprachen: »Warum dürfen die Männer drei bis vier Frauen nehmen, warum dürfen wir nicht einige Männer heiraten? Ist das nicht eine Ungerechtigkeit?« Nachdem sie das hin und her, lang und breit besprochen hatten, beschlossen sie, die Angelegenheit zuerst vor den Kadi zu bringen.

Der Kadi oder Richter sagt: »Gott hat das so befohlen. Wendet euch an ihn!« Die Frauen sannen nach und

Elster_3kamen zu dem Ergebis, dass sie ein Bittgesuch schreiben und an Gott im Himmel senden würden. Schließlich wurde das Gesuch geschrieben, alle unterschrieben, sie banden es an den Fuß der Elster und sandten es ab. Tage- und monatelang warteten sie, aber der Vogel, den sie als Boten damit abgeschickt hatten, kam überhaupt nicht zurück. 

Die Frauen, die die Hoffnung auf Gott nicht aufgaben, warten immer noch sehnsüchtig. Wenn die alten Frauen in Anatolien sehen, dass eine Elster auf die ihren Häusern nahe liegenden Bäume fliegt, fragen sie sie nach der Antwort ihres Bittgesuches: »Bist du gekommen? Was gibt’s? Hoffentlich etwas Gutes!«

So ist das. Hat sicher ein Mann geschrieben, das Märchen, und seine Botschaft darin untergebracht: Goitt will es so. — Und: Hat irgendjemand, als er in den vergangenen Wochen mit der Gesichtsmaske ein Geschäft betrat, daran gedacht, dass Millionen arabische Frauen immer verschleiert unterwegs sind, den hajib vor dem Gesicht? Manche hartgesottene Frauen sagen da: ›Die kennen es nicht anders.‹ Na ja. Hoffentlich werden sie ihr nächstes Leben nicht als Frau im Orient verbringen müssen.

Elsterfeder

Elsterfeder. Dank an den Fotografen, der auch die Elster oben ablichtete, auf seiner Terrasse

 

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