Kurzes aus Osteuropa

Ganz kurze Gedichte können einen treffen wie ein elektrischer Schlag. Aus dem Band Auf der Karte Europas ein Fleck habe ich ein paar entnommen. Sie wurden zwischen 1910 und 1930 in Osteuropa geschrieben, sind also östliche Perlen, aber weder Haikus noch Tankas. In Japan und überhaupt im fernen Osten war man immer sehr form- und stilbewusst, während meine Beispiele frei geschrieben sind, formlos und eben kurz.

Von dem Rumänen Filip Brunea-Fox (1898-1977) habe ich Kasino ausgewählt, aus dem Jahr 1928.

34ffFrauen schlürfen das Meer mit Strohhalmen
Alle Delphine tragen Abendanzüge
In den Spiegeln bieten die Kellner einander Malaga an
Auf der Terrasse massiert der Leuchtturm die Schläfe des Barons.

 

Rabbe Enckell, Finne (1901-1974), steuert ein unbenanntes Gedicht bei (1925):

Du und ich,
wie Pinguine zusammengekauert
auf einer Eisscholle
auto2treiben wir über öde
Weltenmeere.

Einmal,
wenn die Eismassen schmelzen,
wenn unsere wirklichkeitsverfrorenen Seelen
im Feuerschein der anbrechenden Sonne
auftauen,
werden wir stürzen
oder fliegen!

 

Und schließlich Atanas Daltschew, Bulgare (1904-1978). Sein Sommer entstand 1926 und ähnelt am ehesten einem japanischen Tanka-Gedicht:

DSCN1164Die Blätter, die Baumkronen schweigend,
und Schatten wir riesige Pfützen,
Im Osten zwei Wolken — so reglos,
als hätten sie Anker geworfen. 

 

 

 

 

 

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