Božena Koska

Heute geht es um Božena Koska, »die alte Schlampe, die eine Deutschenliebste gewesen ist, eine Kollaborateurin, die nichts dazugelernt hat«, wie uns Peter Härtling gleich auf der ersten Seite seiner Erzählung Božena hinknallt. Mal wieder eine Kriegsgeschichte, ich kann’s nicht mehr hören, sagen da manche, doch wir werden erfahren, wie aktuell das ist, wie zeitlos gleichzeitig und wie deprimierend.

Božena ließ sich in der Zeit vor dem Krieg in Ostrava von einem deutschen Anwalt anstellen, in den sie sich prompt verliebte, obwohl er Frau und Kinder hatte. Damals war die Tschechin jung, 24 Jahre alt. Das kurze Engagement bei einem Deutschen, der armen Tschechen half und kein Nazi war (dann mit Frau und Kind verschwindet, in einem Lager stirbt), wird für Božena schicksalhaft, wird ihr ganzes restliches Leben prägen. Nach dem Krieg wird abgerechnet. Sie wird vorgeladen, weil sie angeblich mit dem Faschismus kollaborierte, kommt ins Gefängnis und wird dann gezwungen, für ein Kollektiv zu arbeiten. Es ist Arbeit in der Schreibstube, halb Strafe, halb Freiheit: dann, wenn sie heimdarf in ihre Kate zu ihrem Hund Moritz.

Das erinnert an den Roman Fegefeuer: Aliide ist durch Ereignisse der Kriegsjahre gezeichnet und gewissermaßen in ihr Haus gebannt. — Und noch eine Assoziation. Fünf russische Soldaten irrten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs umher, wurden von den Deutschen eingefangen, konnten aber entkommen und gelangten zu ihrer Einheit zurück. Hätten sie gesagt: Wir haben uns in den Wäldern verlaufen, wäre ihnen nichts passiert. Aber sie gaben zu, dass sie gefangen waren, hatten also engen Kontakt zum Gegner gehabt. Die Strafe: 25 Jahre Zwangsarbeit. So war das in Russland, steht in Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch von Alexander Solschenizyn. Wer draußen war kürzlich, musste 14 Tage in Quarantäne. Im Zweifel gegen den Angeklagten. Pech gehabt.

Am Ende der Novelle schreiben wir 1970, Dubček ist gescheitert, die Hoffung auf ein Leben ohne Repression und ohne die Russen dahin, auf die Befreiung müssen wir noch 20 Jahre warten, dann wäre sie 74, doch schon mit 54 fragt sie ihren Hund, wer wohl länger aushalten müsste auf der Welt, sie oder er? (Damit endet das Buch.) Nach dem Krieg wurde abgerechnet, die Schande verlangte nach Sündenböcken. Wer als Frau irgendwie mit den Nazis zusammen war, galt als Faschistenhure, als Naziflittchen. Bei den Nationalsozialisten war eine Frau schnell eine Judenhure. Bertolt Brecht schrieb in seiner Ballade von der Judenhure Marie Sanders:

In Nürnberg machten sie ein Gesetz,
Darüber weinte manches Weib, das
Mit dem falschen Mann im Bett lag. (…)

Marie Sanders, dein Geliebter
Hat zu schwarzes Haar.
Besser, du bist heute zu ihm nicht mehr
Wie du zu ihm gestern warst. (…)

Eines Morgens, früh um neun Uhr,
Fuhr sie durch die Stadt
Im Hemd, um den Hals ein Schild,
Das Haar geschoren.
Die Gasse johlte. Sie
Blickte kalt. (…)

Frauen werden zur Schau gestellt, öffentlich demontiert. Der Pranger ist Mord an einer Seele. (Heute haben wir den shitstorm auf den sozialem Medien dafür, elektronisch gesteinigt wird man da und ist genauso kaputt, als ob man durch die Stadt getrieben worden wäre.) Ehebrecherinnen wurden in der Antike getötet, in den USA im 17. Jahrhundert mussten sie unter den Puritanern ebenfalls an den Pranger  (Der scharlachrote Buchstabe). Der Mann nicht, er diktiert die Regeln. Die Frau soll gebrochen werden. Die Nürnberger Gesetze!

Ein Gesetz, etwa ein physikalisches, gilt immer. Dinge fallen zu Boden, ob im Sommer oder im Winter, in Australien und am Äquator: das Gravitationsgesetz. Menschliche Gesetze gelten gleichfalls ausnahmslos, in jeder Ecke des Landes (1,5 Meter Abstand! Mundschutz!). Ein Gesetz ist eine gnadenlose Abstraktion. Es ist der Fluch der Verallgemeinerung. In Tschechien hieß das: Jeder Deutsche war Nazi, und wer bei ihm war, ist Hure. Die pauschale Verdammnis. Die Unerbittlichkeit der Verallgemeinerung. Das ist Totalitarismus.

Zwischendurch dachte ich mir: Diese Gesetze können normalerweise nicht im ganzen Land durchgesetzt werden, so viele Polizisten gibt es nicht. Das Volk muss selber mithelfen, muss sich gegenseitig kontrollieren. Das hatten die Diktaturen begriffen. Ein Klima der kollektiven Angst führt dazu, dass der Bürger den Mitbürger ans Messer liefert, um nicht selber dranzukommen. In der DDR hatten wir das millionenstarke Heer der Stasi-Mitarbeiter und -Zuträger, bei den Nazis und sonst haben wir die Denunzianten. Die gibt es auch heute. Auch während der neulichen Krise wurde munter denunziert. Lassen wir alle Illusionen fallen.

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