Böse, böse

Einen kleinen Gedanken, den ich hatte, kann ich mit den letzten Sätzen des Buches Das Verschwinden des Josef Mengele verbinden, das der Aufbau-Verlag auf der Rückseite mit »Auf den Spuren des Bösen — der internationale Bestseller« anpreist. Da treten schwierige Fragen auf, über die man seit 2000 Jahren nachdenkt.

Processed with VSCO with a6 presetEine dieser Fragen wäre: Gibt es das Böse? Ist unser Leben vorbestimmt? Sind wir, wie wir sind oder werden wir geformt? Der Autor Oliver Guez schreibt, die Geschichte Mengeles sei die »eines skrupellosen Mannes mit verschlossener Seele, der auf eine unheilvolle, mörderische Ideologie … stößt.« Weiter (und Schluss des Buches):

Es ist ihr ein Leichtes, den ehrgeizigen jungen Arzt zu verführen, seine Charakterschwächen — Eitelkeit, Neid, Habgier — auszunutzen, ihn zu abscheulichen Verbrechen und deren Rechtfertigung zu verleiten. … Nehmen wir uns in Acht, der Mensch ist ein formbares Geschöpf, nehmen wir uns vor den Menschen in Acht.

Wir haben jetzt ja am eigenen Leib miterlebt, wie es ist, wenn man sich vor dem Mitmenschen in Acht nimmt, sein Gesicht verhüllt und ihn im Abstand von 1,5 Metern passiert. So kann keine Gesellschaft auf längere Zeit leben. Richtig ist auch: Ich kann in keinen Menschen hineinschauen; aber ich kann ihm einen Vertrauensbonus schenken, kann ihm gut sein, und dann wird er vielleicht auch gut.

Im Mengele-Kontext ist die Warnung, man möge sich in Acht nehmen, in meinen Augen falsch. Tausende Männer mögen verführt worden sein, Hunderttausende wurden zu Verbrechen verführt in den Jahrhunderten, weil sie charakterschwach waren. Doch da ist der Mengele, im Reich des Bösen eine Ausnahmegestalt. Alles wehrt sich in einem dagegen zu glauben, der Mensch könne so formbar sein, dass man ein Mengele würde, dessen Verbrechen selbst Judas erschüttert haben würden, der ja bei Dante im untersten Höllenkreis dahinvegetiert als letzter der sündigen Menschen.

Wir sind formbar, aber so total formbar sind wir nicht, um ein Mengele zu werden. Lasst nicht alle Hoffnung fahren! Glaubt dem Autor nicht! Wir wollen einander erst einmal vertrauen, und wenn eine innere Stimme, die es gibt, uns sagt, dass da was nicht stimmt, können wir uns immer noch in Acht nehmen. Misstrauen als Grundeinstellung den anderen gegenüber: das ist krank.

Das Böse inkarnierte sich im Nationalsozialismus, und Josef Mengele wählte, das zu tun, was er tat, und dass er es als Arzt tat, der Leben schützen soll, ist besonders bitter. Alle Religionen kennen den Engel, der sich gegen Gott auflehnt und verstoßen wird. Er tat es aus freien Stücken. Nein, wir werden SDC10346Mengele nicht weißwaschen und von Verführung säuseln. Mengele war böse. Der Mensch kann sich nicht auf eine Verführung hinausreden, er hat seine Entscheidung, und er muss sich ihr stellen. Die ganze deutsche Gesellschaft tat nach dem Krieg so, als sei sie verführt worden, doch das war nur ein Versuch, den eigenen Anteil am Unheil verdrängen — denn die jubelnden Massen schoben Hitler erst zum Krieg. Wobei man da wieder Hitler als Verführten darstellt; doch wir wollen unterscheiden zwischen Verführung, der man sich entziehen kann, und einem Mandat durch das Volk, das ihm freie Hand gab. Denn die NSDAP wurde gewählt. In einer freien Wahl.

Nun noch rasch mein Gedanke. Lange Zeit dachte ich mir: Wie tragisch, dass ein giftiger Tropfen einen ganzen Eimer voll des kostbarsten Trinkwassers zerstören kann! Haben wir keine Chance gegen die Schlechtigkeit? Bis mir dann plötzlich die Erleuchtung kam. Es gibt das gegenteilige Bild. Alles ist finster; dann zünde eine Kerze an, und diese kleine Kerze wird mit ihrem Licht die ganze Finsternis erhellen und damit zunichte machen. In Kandern fand ich an einer Hauswand auch die Illustration dazu.

 

 

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